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Sternenspiel

Sternenspiel

Titel: Sternenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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seufzend. »Bring sie in den Garten. Verbrenn sie. Ich will das nicht im Zimmer machen, das würde zu stark stinken.«
    Meinte er das ernst?
    »Ich will nicht, dass unsere Gesichter von fremden Pfoten begrapscht werden«, erklärte mein Großvater. »Verzeih einem alten Mann diese Schwäche. Irgendwo muss es noch die Negative geben, da lassen wir die Photos später nachmachen … sofern wir zurückkehren.«
    »Großpapa …«
    »Petja, ich bitte dich.«
    Ich zögerte.
    »Oder soll ich den Kram selbst in den Garten schleppen?«, schrie mein Großvater leicht hysterisch. »Ja? Soll ich?«
    Den Arm voller Alben trat ich aus dem Haus. Mascha war unten im Erdgeschoss nirgends zu sehen gewesen, der Reptiloid auch nicht. Ich schleppte die Alben in die abgelegenste Ecke des Gartens, wo ich in meiner Kindheit Lagerfeuer gemacht und jeden Sommer eine Hütte gebaut hatte. Ich warf die Dinger ins welke Gras.
    Dem Ganzen haftete etwas Widerwärtiges und Unnatürliches an. Der Mensch hätte Photos lieber gar nicht erst erfinden sollen – wenn sie doch manchmal verbrannt werden mussten. Von den aufgeklappten Seiten blickten mich Gesichter an, mein Großvater, meine Eltern, ich selbst, bekannte und unbekannte Leute … Da war mein Großvater, noch nicht so alt, auf irgendeinem Kongress. Und hier … nicht zu fassen! … mit Danilow! Letzterer noch ganz jung, aber mit verschlossenem, scheuem, dem Objektiv ausweichendem Blick. Ich sah mir alte Aufnahmen nicht gern an – was ein Fehler gewesen war.
    Ich holte die Streichhölzer, die mein Großvater mir feierlich überreicht hatte, aus der Tasche. In dem Moment fiel mein Blick auf ein Photo meiner Eltern. Mit mir auf dem Arm. Ein kleinerer Abzug des Bilds, das bei meinem Großvater im Zimmer hing.
    Nein, du nicht!
    Ich beugte mich vor, zog die Klebefolie ab und nahm das Photo an mich. Diese Aufnahme würde mit mir mitfliegen. Das Feuer hatte auch so genug Nahrung.
    Unter dem Photo fand ich ein doppelt zusammengefaltetes, über die Jahre vergilbtes Blatt Papier. Ich nahm auch dieses an mich und entfaltete es behutsam. Mein Herz krampfte sich zusammen.
    Es war ein Zeitungsausschnitt. Ein Artikel mit der Überschrift »Der Präsident kondoliert … von Bord der Boeing«. Die Schwarzweißphotographie zeigte einen Berg von Eisen in einem ovalen Trichter, der von abgeknickten Bäumen umstanden war.
    Mein Großvater hatte gut daran getan, mir diese Zeitung nie zu zeigen. Ich wandte den Blick ab. Mit trockener Kehle schluckte ich einen bitteren Klumpen aus Schmerz und Schuld hinunter. Ich faltete den Artikel zusammen und steckte ihn zusammen mit dem Photo in meine Tasche.
    Die Alben brannten nur schlecht. Was hatte ich anderes erwartet? Sie waren halt aus Plastik. Ich musste in die Garage gehen und Benzin über die Dinger schütten. Ich hockte mich neben das Feuer und wärmte mir die klammen Hände, aber der Rauch biss mich zu sehr.
    Die Erinnerung – die brennt immer schlecht.
     
    Braucht man lange fürs Packen, wenn man für immer fortgeht?
    Frische Unterwäsche, ein paar Hemden … im Flugzeug würde ich sowieso meine Uniform tragen. Eine CD mit allem möglichen Quatsch, Gedichten aus meiner Teenagerzeit, einem angefangenen und nie beendeten Roman, Briefen und meinen Lieblingsspielen. Ein paar Scheiben mit Musik. Es wäre schade, wenn bei der Hausdurchsuchung »rein zufällig« meine Sammlung verloren ginge. Allerdings bestand sie überwiegend aus Klassik, nicht aus Pop, vielleicht würde sie den Besuch überleben …
    Wie immer passte alles in meinen Aktenkoffer. Wenn man für einen Tag oder für immer fortgeht, verliert Besitz jeden Sinn. Das ist keine Reise an einen Ferienort.
    Ich ging nach oben und verabschiedete mich von meinem Großvater. Falls keine Probleme auftraten, würden wir uns morgen wiedersehen. Mein Großvater durchforstete noch immer seinen Kram. Ich wollte ihm schon sagen, dass ich diesen Zeitungsartikel entdeckt hatte, überlegte es mir dann aber. Auch ihn würde die Erinnerung schmerzen.
    Unten erwartete mich Mascha, diesmal ohne Pistole.
    »Ich wollte mich entschuldigen«, sagte sie.
    Ich stand ziemlich dämlich da, mitten auf der Treppe und sie damit überragend. Es wäre jedoch grob unhöflich gewesen, die Frau einfach zu ignorieren.
    »Schon vergessen«, sagte ich beiläufig. »Außerdem muss ich mich genauso entschuldigen, schließlich bin ich ausgerastet.«
    »Ich mache mir einfach Sorgen um den Erfolg unserer Operation«, erklärte Mascha. »Es wäre doch

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