Sternenstaub (German Edition)
thronte.
Der Grund für seinen malerischen Namen waren die vielen Wasserfälle, die sich aus einer nah am Schloss entsprin -genden Quelle ergossen und über viele kleine und große Steinbetten geleitet durch die Stadt hinabströmten.
An Sonnentagen glitzerte und funkelte das Sonnenlicht im schnell fließenden Wasser.
Bis weit zum Horizont und darüber hinaus reichten die klugen Augen des alten Königs, über fruchtbare Wiesen und Felder hinweg, und weiter über weite dichte Waldge-biete. Mit Wonne und Freude, mit Stolz und tiefer, von Herzen kommender Liebe betrachteten die königlichen Au-gen das Land und ergötzten sich an seiner Schönheit und Vielfältigkeit. Königs Ferfarels Augen waren von einer tie-fen kraftvollen Bläue wie der Himmel an einem strahlenden Sonnentag. Er sah mit ihnen viel weiter und klarer als die Augen eines Normalsterblichen es vermochten.
König Ferfarel war vom Stamme der Seher, ein altes Ge -schlecht, das schon seit jeher über Kerdonien regierte.
Die Seher hatten die Gabe zu sehen, so weit sie wollten. Sie sahen die Menschen in weit entfernten Dörfern, wie sie auf dem Felde arbeiteten, sie sahen die Tiere im Walde, sie sa -hen die Geier schwebend über klüftige Berge. Nichts, war es noch so weit entfernt, blieb ihnen verborgen.
König Ferfarels Gesicht zerfloss zu einem warmen Lächeln, er hatte ein Kind erblickt, das am Fuße des grauen Gebirges, hunderte Meilen vom Schloss entfernt, eine Her-de Schafe hütete.
Am unteren Ende eines steinigen Abhangs auf einer grünen Wiese, weit verstreut, graste friedlich die Schafherde. Ihr junger Hirte saß auf einem Stein und schnitzte aus einem Stück Holz eine Figur.
König Ferfarels Augen verweilten eine Weile bei diesem harmonischen Anblick, bevor sie weiterwanderten, die ho-hen Berge des grauen Gebirges hinauf, enge dunkle Pfade und tiefe Schluchten entlang. Das graue Gebirge bildete die Grenze zu Kerdonien und war eine Welt in sich, eine dunk-le Welt. Schwer und dicht lagen grau-schwarze Wolken über und zwischen den Bergen und verhüllten sie. Nur die Augen eines Sehers konnten die nebligen Schwaden durch-dringen.
Jeden Tag durchforschte König Ferfarel die grauen Berge mit besonderer Achtsamkeit, denn er wusste, dass von dort seinem Land die größte Gefahr drohte. Das graue Gebirge wurde von den Bewohnern von Kerdonien auch das Schat -tenreich genannt.
Unheimliche Geschichten, Sagen und Gerüchte gingen da -rüber von Mund zu Mund. Erzählungen, die so alt waren wie das Land selbst. Nicht nur der König fürchtete das graue Gebirge und die dunklen Geheimnisse, die es barg.
Doch für die Bewohner Kerdoniens war es eine vorüber -gehende Furcht, die nur eintrat, wenn man an kalten Win-tertagen draußen den Schneesturm heulen hörte. Nur einer wusste, dass die Gefahr eine reelle war. König Ferfarel.
Am Sterbebett seines Vaters hatte er von seinem Vater das furchtbare Geheimnis erfahren, das die Seher von Genera -tion zu Generation zu tragen hatten.
„Sohn“, hatte der sterbende König damals gesagt, als der junge Prinz Ferfarel sich nah zu ihm gebeugt hatte.
„Mein geliebter Sohn, höre, was ich dir nun sage, und ver-giss es nie. Es gibt eine Prophezeiung, die uns einst ein Schicksalsbote überbrachte, ein Phönix, ein Drachenwe-sen.“
„Sie gibt es also wirklich?!“
„Ja, mein Sohn, es gibt sie, und sie sind die Beschützer Ker-doniens. Doch höre, was ich dir nun sage. Über unserer Fa-milie liegt ein Fluch!“
Prinz Ferfarel war bei diesen Worten zusammengezuckt, unwillkürlich hatte er seine Hand den kalten schweren Hän -den des sterbenden Vaters entzogen. „Ein Fluch?!“
„Ja, mein Sohn“, flüsterte sein Vater, dessen Gesicht grau und verfallen war und aus dem mit der Preisgabe des Ge -heimnisses, das er ein langes Leben lang alleine hatte tragen müssen, das letzte Licht, die letzte Lebenskraft, zu ent-schwinden schien.
„Komm näher, mein Sohn.“
Prinz Ferfarel beugte sich ganz nahe zum Mund des Vaters.
„Wisse, wir Seher waren einst viel mächtiger, als wir es nun sind. Einst hatten wir die Fähigkeit, in die Zukunft zu bli -cken. Der erste König von Kerdonien missbrauchte diese Gabe, um seine Macht und seinen Reichtum zu vergrößern. Dreimal erhielt er Warnungen von den Schicksalsboten, den feuerroten Drachenwesen, zweimal missachtete er sie und spottete dem Boten, der sie überbrachte. Das dritte Mal ließ er den Phönix durch Pfeilschüsse verjagen. Einer der Pfeile traf
Weitere Kostenlose Bücher