Sternenstaub (German Edition)
sagte sie. Dabei lächelte sie ihn an.
„Oh, vielen Dank.“ Johannes lächelte bescheiden zurück.
„Toran Lhusa hat das Dorf ungefähr eine Stunde vor Son -nenaufgang verlassen“, sagte sie.
Auf Johannes Gesicht zeigte sich Bestürzung. Er richtete sich kurz auf, wurde bleich im Gesicht und sank wieder zurück auf das Kissen, dass ihn nur wenig stützte. „Das wär's dann also.“
„Nicht unbedingt. Wenn du morgen früh erholt genug bist, um aufbrechen zu können...“
„Das werde ich sicherlich nicht sein, ich bin gesundheitlich zu angegriffen. Außerdem kann ich ihn nicht mehr einho -len. Da bin ich mir sicher. Und überhaupt, was hast du da-mit zu tun?“
Er konnte sich nicht vorstellen, was sie mit Toran Lhusa zu tun gehabt hatte.
„Ich habe in den Teeblättern gelesen. Sie zeigten euch bei-de und zwar in einer starken Beziehung zueinander.“
„Erzählte er dir vom Ziel seiner Reise?“
„Von der Veste Otzberg? Ich weiß darüber Bescheid. Ich hege nicht ohne Grund einen tiefen Groll gegen die Veste der lebenden Toten.“
„Es ist lediglich eine Geschichte“, sagte Johannes.
„Wie das Ding, das vorletzte Nacht hier war?“
Sie sah ihn lauernd an, eine Antwort von ihm nicht wirklich erwartend. Dazu war die Nacht zu brutal gewesen.
Er sah sich unwillkürlich suchend um. Trotz der Weihung durch den Priester, trotz eines Exorzismus, konnte er seit dem Vorfall nicht mehr ruhig schlafen. Nur die Schwäche durch seine Krankheit ließ ihn überhaupt zur Ruhe kom-men.
„Nun, es ist immerhin eine gute Geschichte über die Veste. Vielleicht stimmt sie sogar.“
„Es soll dort einmal eine Stadt gegeben haben“, sagte sie leise und starrte an ihm vorbei ins Leere. Sie sah nicht ihn, sondern die Bilder, die sich in ihrer Vorstellung aus der Vergangenheit heraus formten.
Johannes, der Marianne ein wenig benommen betrach-tete, lauschte ihren Worten und begann die Bilder ebenfalls zu sehen. Der Name des Ortes war Heimstätte Otzberg ge-wesen. Sie stand an der Seite eines hohen Hügels oberhalb eines Tals, wo sich ein schmaler Wasserlauf, in einen klei-nen See ergoss. Dichte Wälder bedeckten das Hinterland. Die Wege nach Heimstätte Otzberg waren beschwerlich und geheimnisvoll. Überdies war es ein Ort, der sich gut selbst versorgen konnte. Andere Städte hatten sie mit Schwert und Magie bekämpft, und deren Vergeltungs-armeen begrüßten sie auf ihrem Zufluchtsort, der Veste, mit kochendem Öl. Die Mauern der Veste, steil aufragende Granitmauern mit Schießscharten, wurden nur freiwillig ge-öffnet, und nur dort, wo sich Tore befanden. Jene Men-schen und auch die Andersartigen, wie man sagt, die inner-halb dieser Mauern wohnten, waren als Hexen und Zaube-rer berüchtigt. Alle dort Lebenden, von den Kindern bis zu den Greisen, von den niedersten bis zu den höchsten, wa-en in der Kunst der Magie bewandert. So lautete die Legen-de. Ein altes Sprichwort sagt: Wenn wir in der Heimstätte Otzberg tanzen. Die Bedeutung lautet: Nie und Nimmer! Aber dann drang etwas Wütendes, Grausames in Heim-stätte Otzberg ein, etwas, das die Türme, Dächer, Mauern und Tore zerstörte. In einer lauen Sommeracht bebte die Erde ohne sichtlichen Grund, brachte aber keine wesent-lichen Zerstörungen mehr hervor. Innerhalb des Berg-hangs, oberhalb der Heimstätte, so berichtet die Sage wei-ter, verläuft nun ein langer Riss im Gestein, der sich bis heute durch Wettereinflüsse, Schnee, Wind und kleinere Bergrutsche seit gut hundert Jahren ihren Durchmesser ständig vergrößerte. Einem Drachen in einer dunklen Höh-le gleich lauerte das Böse auf seine Stunde. Und dann kam ein erneutes Erdbeben, die letzte Erschütterung, die zwar nicht stark war, aber ausreichte, um die letzten haarfeinen Verbindungen, die den Berg noch zusammenhielten, zu durchtrennen. Es soll kurz nach Mitternacht gewesen sein, als ein Wächter der Veste sah, wie sich ein riesiger dunkler Drache mit weit ausladenden Schwingen aus der neu er-schaffenen Höhle des Hügels erhob. Es bedurfte keiner großen Phantasie, sich diesen unheilvollen Augenblick vor-zustellen. Das plötzliche Verstummen aller Geräusche, die erhobenen Köpfe derjenigen, die der Wächter alarmierte. Die himmelwärts gerichteten Gesichter, die deutenden Fin-ger, die staunenden Augen und ungläubigen Gesichtsaus-drücke. Dann erfolgte der gigantische Donner, ein dumpfes Grollen tief in der Erde, als die Höhle unterhalb des Hügel-kamms mit
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