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Sternenstaub (German Edition)

Sternenstaub (German Edition)

Titel: Sternenstaub (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown
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richtigen Schlaf hinüberglitt, wenn seine Verteidigung am schwächsten war. Sie narrten ihn, foppten ihn und hielten ihm Bilder seiner selbst vor, wie er einst gewesen war und nie mehr sein würde. Er sah in warme Augen voll Gefühl, und es waren seine eigenen. Die Schatten brachten auch die Bilder anderer Augen heran, Augen, die ihm einst lieber gewesen waren als sein Leben, und die sich von ihm abgewendet hatten, als er sie am meisten brauchte. Wenn er aufwachte, sah er diese Augen; und wenn sie sich im Blutrot der Mor-gensonne verloren, legte er sein Schweigen um wie einen Mantel, schulterte die ungeweinten Tränen und ging weiter.
     
    „Der Fluss, der Fluss, er kommt mit dieser Bürde niemals über den Fluss!“ Die Stimmen klangen sorgenvoll.
     
    Er stand am Rande der Klippe und sah hinab in die Fluten. Hinter ihm lag die Landschaft, aus der er kam: Unzählige Dickichte, durch die er sich gekämpft; Sümpfe, die er durchquert und Städte, die er vermieden hatte. Stets nur auf sich selbst zählend, niemandem vertrauend als nur der eigenen Kraft - und der Erfolg gab ihm recht. Stolz und Härte hatten ihm weitergeholfen, wo Kraft und Ausdauer alleine nicht reichten; und legendär war seine Fähigkeit, ohne die Hilfe anderer auszukommen. Zweifel kannte er längst nicht mehr. Er hatte sie mit den anderen Gefühlen in den tiefsten Kerker seiner inneren Bastion verbannt. Er legte seine Sachen ab, schnürte sie in ein wasserfestes Bün-del und watete in den Fluss.
     
         „Angst, Angst, er hat Angst. Seine Mauern bestehen aus Angst, sein Leben ist Angst, sein Selbst ist zerstört. Er hat nicht andere aus-gesperrt, er hat sich eingesperrt. Doch er kann nicht alleine bestehen, ohne sich ganz zu zerstören; ohne sich für immer zu verlieren. Er flieht, er flieht, er hat Angst. Die Fluten werden es entscheiden.“
     
    Die Wolken verdunkelten sich, als fürchteten die Stimmen sich vor dem, was sie sehen könnten. Durch den aufzie-henden Sturm folgten unsichtbare Blicke dem Wanderer. Er schwamm; die Strömung zerrte an seinem Leib. Er schwamm durch den Fluss, aus eigener Kraft, die Brücken ignorierend, den Fährmann verachtend, voll Hass und Bit-terkeit auf die Hilfe Anderer, auf die er nie wieder ange-wiesen sein wollte, weil sie ihm versagt worden war, als er sie wirklich gebraucht hätte. Fast dankbar schluckte er das Wasser, das ihm ins Gesicht schlug; sah in jedem Schmerz eine Bestätigung seiner Kraft; einen Beweis, dass er noch lebte. Und ohne dass er es merkte, zogen die Schatten der Nacht ihn allmählich nach unten; zerrte die Last der Ver-gangenheit ihn in die Tiefe. Immer öfter wurde sein Kopf vom Wasser überspült. Er starb langsam.
     
    „Die Hand, die Hand, nimm die Hand!“
     
    Er hörte die Stimmen. Zum ersten Mal nahm er sie bewusst wahr, in jenem Moment, der zwischen Leben und Tod liegt, und in dem man manchmal die Wahl hat, sich noch einmal zu entscheiden. Er sah die Hand und das Versprechen, das sie ihm gab. Er sah auch die Gefahr, dass dieses Verspre-chen gebrochen werden, dass die alten Narben aufgerissen, die alten Wunden vertieft werden könnten. Er sah die Mög-lichkeit, sich zu entscheiden; vor der Angst zu fliehen und zu sterben, oder sich der Angst und dem Leben zu stellen; fähig zu Furcht und Enttäuschung, doch auch zu Liebe und Vertrauen. Er sah die Schatten der Vergangenheit, doch auch die der möglichen Zukunft. Er zögerte noch einen Moment. Dann griff er nach der Hand.
     
    „Es gilt, es gilt, nur Glauben und Hoffnung stehen gegen die Leere und das Dunkel.“
     
    Der Schmerz kam schnell und unerwartet. All die verdräng-ten Gedanken verlangten ihr Recht. Die Bitterkeit, die Ent-täuschung, die Einsamkeit; die Verzweiflung und die Wut, all die Gefühle, die er seit Jahren beiseite geschoben; die Ängste, die er ignoriert, die Leere, die er als willkommene Betäubung zugelassen hatte, brachen über ihn herein. Die Schatten zogen an ihm und wollten ihn nicht gehen lassen, die Last der ungeweinten Tränen zog ihn in die Tiefe. Er klammerte sich an die Hand, wollte plötzlich leben, doch eine eisige Furcht lähmte ihn und die innere Gewissheit, dass die Hand ihn im entscheidenden Moment fallen lassen würde, ließ seine Bewegungen erstarren.
     
    „Vertrauen, Vertrauen, er muss vertrauen. Die Blume braucht Son-ne, um Blume zu sein. Der Mensch braucht Liebe, um Mensch zu sein. Nur der ist ganz, der nicht nur geben, sondern auch nehmen kann.“
     
    Die Hand hielt ihn fest.

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