Sternenstaub
Lokondra?«, fragte Emmi.
Was sollte ich sagen?
Bo riss die Augen auf. »Noch böser?«
Emmi sprang auf. »Das geht nicht«, sagte sie, die Arme nach unten gestreckt, mit geballten Fäusten. »Lokondra hat meinen Papa und meine große Schwester umbringen lassen.« Ihre Worte trafen mich bis ins Mark und eine stille Weile sagte keiner von uns etwas. Tränen traten in Emmis Augen. »So böse kann selbst euer Teufel nicht sein.«
Ich holte tief Luft. Ich hatte es gewusst, die Geschichte war nichts und ich überlegte, ob ich vielleicht doch schnell noch ein anderes Märchen auswählen sollte, aber da zupfte Bo mich am Ärmel. »Erzähl weiter.«
Emmi nickte.
»Der Teufel hatte einen Spiegel gemacht, der alles Gute und Schöne verschwinden ließ und dafür nur noch das Schlechte zeigte. Die herrlichsten Landschaften sahen wie zermatschter Gemüsebrei darin aus, und die besten Menschen, ich meine Leute, wirkten darin hässlich und böse. Das fand der Teufel lustig.«
»So ein Blödmann«, sagte Emmi und auch Bo guckte finster.
Wir hatten also noch die Kurve gekriegt. Zum Glück. Ich unterdrückte ein Lächeln und erzählte, wie der Teufel damit zum Himmel fliegen wollte, der Spiegel ihm aber aus der Hand und auf die Erde fiel, wo er zerschellte. Inzwischen war alles abgespült und weggeräumt. Wir setzten uns auf die Bank und Emmi klammerte sich an meinen Arm.
»Auf der Erde lebten damals zwei Kinder, die sehr gute Freunde waren. Vor ihren Häusern hatten die Eltern jedem Kind einen Rosenstock gepflanzt, das sind bei uns auf der Erde wunderschöne Blumen.« Ich erzählte von den Rosenstöcken der beiden, die sich einander entgegenbogen und zusammenwuchsen, sodass sie ein Tor bildeten, unter dem die zwei immer spielten. »Der Junge hieß Kay und das Mädchen Gerda.«
Emmi kicherte. »Komische Namen.«
»Eines Abends im Winter kletterte Kay zu Hause auf den Stuhl am Fenster und kratzte an der gefrorenen Scheibe ein kleines Guckloch frei. Draußen im Schnee erblickte er eine wunderschöne Frau, die ganz und gar aus blinkendem Eis war. Sie sah zum Fenster und winkte ihm zu. Der kleine Junge erschrak und sprang vom Stuhl herunter; da flog ihm etwas ins Auge und gleichzeitig stach es ihn mitten ins Herz.«
»Nein!«, stieß Emmi mit einem einzigen Atemstoß aus.
»Doch nicht einer von diesen Spiegelsplittern? Diesem hässlichen Glas, das alles Schöne verschwinden lässt und nur noch das Schlechte zeigt.« Bo rutschte unruhig auf der Bank herum.
Ich setzte eine geheimnisvolle Miene auf und das machte die Kinder nur noch hibbeliger. Also erzählte ich weiter.
»›Weshalb weinst du?‹ fragte Gerda, als sie zu ihm kam.
›Du siehst so hässlich aus!‹, rief Kay. ›Und Pfui! Die Rosen dort sind ganz hässlich und schief!‹ Und dann stieß er mit dem Fuß gegen den Blumenkasten und riss die beiden Rosen ab.
›Kay, was machst du da?‹, rief Gerda erschrocken. Aber Kay riss noch eine Rose ab und lief dann schnell davon.
Von da an wollte er nichts mehr mit ihr zu tun haben. Wenn sie ihm Geschichten erzählen wollte, sagte er, das sei nur etwas für Babys und überhaupt fand er, dass sie dumm und hässlich war. Denn ihr habt recht, es war das Glas, das in seinem Herzen saß und nur noch die Fehler von allem zeigte. Er konnte nichts mehr schön finden. Kays Spiele wurden nun anders als früher, sie wurden erwachsener und ohne Fantasie, und als er sich eines Winters im Schnee verirrte, erschien ihm wieder die Frau aus blinkendem Eis. Es war die Schneekönigin.‹«
Nun rückte auch Bo näher, und während ich erzählte, wie die Schneekönigin Kay mit auf ihr Eisschloss nahm und Kay mit einem einzigen Kuss Gerda und alle anderen, die er lieb hatte, vergessen ließ, wurden seine Augen immer größer.
Irgendwann kam Jola mit einem ovalen Gefäß herein. Sie stellte die Schüssel auf dem Tisch ab, setzte sich und stützte interessiert den rechten Ellbogen auf die Tischplatte, während sie ebenfalls zuhörte. Ich weiß nicht, ob es die Geschichte oder Bos und Emmis gespannter Gesichtsausdruck waren. Oder vielleicht lag es daran, wie der Junge immer nervöser an seinem Ohr knibbelte, während ich ihnen berichtete, wie traurig Gerda wurde, weil sie Kay so sehr vermisste, aber in Jolas Gesicht schlich sich ein Lächeln, genau wie bei Iason damals, als ich Hope und den anderen Kindern aus dem Tulpenweg zum ersten Mal das Märchen von Dornröschen erzählt hatte.
»Alle glaubten, Kay wäre im Fluss ertrunken«, kehrte ich
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