Sternenstaub
unvergleichlichen Ruhe versorgt. Er riecht so gut, einfach so nach Iason. Aber dann sehe ich zu der kleinen Felsreihe, hinter der sich die vielen Grabsteine erstrecken, und meine Gedanken schweifen zu all denen, die wir verloren haben. Ich denke an Ariel, Lyra, Demian – und an Skyto. Skyto, der eisenharte Wächter, dem ich seine hartnäckige und unnachgiebige Art so oft vorgeworfen habe, der mir aber letztlich genau damit das Leben gerettet hat.
Ich drücke meine Wange an Iasons Halsbeuge. Es fühlt sich so gut an, so tröstlich. Ja, er ist wirklich ein Wächter. Der Wächter meines Herzens. Aber wie sieht es in seinem Inneren aus? Genauso wenig, wie er über die vielen anderen Verluste, die ihm dieser Krieg zugefügt hat, spricht, verliert er auch kein Wort über seinen Big Boss. Aber ich habe gesehen, wie er mit brennenden Augen an Skytos Grabstein gearbeitet hat, stundenlang hat er all seine Hingabe in diese Arbeit gelegt, nie war ihm das Resultat gut genug, als würde er denken: Skyto hat mehr verdient, viel mehr. Ich weiß nicht, was sich schlimmer anfühlt, der Verlust von Skyto oder Iasons stummer Schmerz deswegen.
Iasons eine Hand liegt auf meinem Rücken, die andere fährt mir sanft ins Haar. »Woran denkst du, mein Stern?«
»Nichts … ich.« Nein, ich will ihn nicht mit meinen Gedanken quälen.
Er birgt mein Gesicht in seine Hände, um mich anzuschauen. »Komm schon, an wen von ihnen musst du denken? Lass mich für dich da sein.«
So war Iason.
»Skyto«, sage ich. »Und ich denke an deinen Schmerz um ihn, um sie alle.« Sanft berühre ich seine Hand. »Du … redest nie darüber.«
Damit hat er nicht gerechnet und es erwischt ihn eiskalt. Seine breiten Schultern senken sich, und dann auch der Kopf.
All die Verluste.
Ich lege meine Hände um sein Kinn und suche seine wunderschönen Augen. In ihnen ist so viel Schmerz begraben.
»Du bist nicht allein. Wir schaffen das, Iason, zusammen.«
Er schließt die Augen und schmiegt seine Wange an meine, so, als bräuchte er Halt, genau, wie er ihn mir sonst immer gibt.
Ein Loduuner, der trauert. Aber Iason ist kein typischer Loduuner mehr, spätestens seit wir unsere Emotionen geteilt haben, fühlt er anders. Mir geht es genauso.
Ich schiebe meine Hand unter sein Hemd, will so nah wie möglich bei ihm sein, und als ich ihn berühre, holt er Luft. »Mia, ich …« Dann verstummt er.
»Ich weiß, Iason, ich weiß …« Ich streiche über seinen Rücken. »Es fühlt sich an wie ein Loch in der Brust«, flüstere ich, »so viele Löcher, weil du sie alle geliebt hast.«
Ein dunkles Stöhnen grollt aus seiner Kehle, wie ein gequälter Ruf, der von tief unten aus seiner verschlossenen Seele kommt. Und dann flüstert er ein ganz leises und brüchiges »Warum?«. Noch unterdrückt sein Körper die ganze Kraft seiner Verzweiflung, aber schließlich bricht sie so heftig aus ihm hervor, dass die einzige Art, sie auszuhalten, Nähe ist.
Verzweifelt zieht er mich an sich, hält mich ganz fest. Meine Lippen empfangen sein erstes leises Schluchzen. Tränen laufen. Er presst seinen Mund auf meinen und küsst mich so leidenschaftlich, drückt mich so sehr an sich, als wäre die enge Nähe zwischen uns der letzte Halt, den diese Welt ihm noch gibt, sein einziger Sinn. Ich schmecke Salz auf seinen Wangen und sein Kummer perlt über mein Kinn.
Ja, er kann lieben, sie alle können es. Das Gefühl war nur verschüttet, und der Krieg hat es ihnen zurückgegeben.
Er küsst mich stürmisch weiter, immer heftiger, so als könnte nur das ihn noch vor dem Ertrinken retten. Hungrig vermischt sich unser Atem. Unsere Körper drängen sich noch dichter aneinander. Immer wieder streifen unsere Lippen die bittere Verzweiflung, die unsere Gesichter benetzt, durstig nach Heilung, die nur wir uns geben können.
»Er fehlt mir so … Sie alle fehlen mir.«
»Ich weiß.«
»Lass mich nicht los, Mia … bitte, lass mich nicht los.«
»Ich halte dich.«
Epilog
Sechs Monate später …
Die Skypeverbindung zur Erde funktionierte endlich wieder, ich saß, die Kommunikationsscheibe auf den Knien, in Iasons Zimmer in der Hängematte und unterhielt mich angeregt mit Lena, während hinter ihr immer wieder ein Weihnachtsbaum durchs Bild wanderte.
»Wie? Du wohnst jetzt mit Frank zusammen?«
Lena schob sich ihre Sonnenbrille in das rot-weiß gestreifte Haar. »Yepp.« Während sie sprach, zählte Lena die guten Gründe an den Fingern auf. »Er hat ’ne Wohnung
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