Sternenstaub

Erinnerung, denn alles um mich herum verlor sich in tobender Panik. Das Nächste, was ich wieder bewusst wahrnahm, war, dass ich über den Kiesweg in Richtung Haltestelle rannte.
    »Mia, warte!«, drang Finns Stimme zu mir durch.
    Wenn das wahr war, wenn Iason wirklich nicht mehr zurückkommen durfte, dann war Olivia Hartung die Einzige, die uns jetzt noch helfen konnte.
    Und wiederum als Nächstes saß ich mit Finn auf zwei schmucklosen Metallstühlen vor dem Schreibtisch der Kommissarin, hinter uns eine kahle weiße Wand, und mir schwirrten ihre Worte entgegen, die ich einfach nicht fassen, nicht glauben konnte oder wollte. Unnütze Erklärungen. Worte ohne Wert. Gab es doch nur einen Satz, nein, zwei Worte, die hier wirklich zählten.
    »Mia, eine Entscheidung von höchster Regierungsebene ist unumstößlich, hier kann auch ich nichts mehr machen. Iason wird nicht zurückkommen … nicht zurückkommen … nicht zurückkommen.« Ihre Stimme hallte in meinem Kopf nach. Ich spürte, wie mich von Kopf bis Fuß ein heißer Schauer überlief, und ich fragte mich, wenn es wirklich ein Schicksal, oder Gott oder sonst irgendetwas in dieser verdammten Welt gab, wie konnte er dann zulassen, dass so etwas geschah, warum hatte er es nicht aufgehalten?
    Die Macht der Worte wird oft unterschätzt, solange sie nicht einen selbst betrifft. Nun stand ich hier, allein in Iasons und meinem Apartment, mit diesem Brief in der Hand. … Eines Tages, das verspreche ich dir, wird diese Wohnung unser Zuhause sein … Wieder und wieder hatte ich seine Zeilen gelesen – mich daran geklammert wie an einen Rettungsring, um nicht zu ertrinken. Wir hatten beide nicht wissen können, was die irdische Regierung schon so bald beschließen würde. Jetzt starrte ich auf die Buchstaben und es traf mich wie ein Schlag.
    Iason würde nicht zurückkommen können und er wusste es noch nicht einmal. Meine Hände begannen zu zittern, der Brief glitt mir aus den Händen und segelte zu Boden, aber meine Finger bebten noch immer und mein Herz schlug so schnell, dass es wehtat und sich mein Magen zusammenzog. Ich zwang mich zu atmen, blickte durch einen Tränenschleier auf all das hier, was einmal hätte unser werden können, und sank an der Wand hinab in die Hocke.
    Die Hoffnung stirbt zuletzt, so sagt man.
    Daran hatte ich mich festgehalten. Doch es ist dieser Kreislauf, nenn es Leben. Du beginnst ganz klein und mit dir wachsen Sehnsüchte und Träume. Sie blühen auf, beginnen von allein zu laufen und manche kennen kein Halten. – Doch irgendwann … irgendwann gibt es dich nicht mehr. Und mit dir werden auch die wahr gewordenen Träume still.
    Jetzt waren wir wieder da, wo wir früher einmal angefangen hatten. Ohne einander.

16
     
     
    D ie Stirn auf meine Hände gestützt fixierte ich das rot-weiß gestreifte Sofa.
    Ich hob den Kopf. Es war bereits dunkel und über mir breitete sich ein funkelndes Sternenzelt aus. Wo war Deneb, der hellste Stern, hinter dem Loduun lag?
    Mein Loduun.
    Ich stand auf und blickte zum Himmel hinauf.
    »Kannst du mich hören? Uns bleibt nicht viel Zeit. Morgen schließen sie die Grenzen, dann geht für sehr lange Zeit kein Schiff mehr. Ich bin dein Sinn. Ohne mich gehst du doch dort oben drauf.«
    »Was nutzt ein Leben in Sicherheit, wenn es einen so sehr zerschneidet, dass es kein Leben mehr ist?« Iasons Worte. – Und mit der für mich einzigen möglichen Antwort auf diese Frage war mein Entschluss gefällt.
    Ich verließ die Wohnung.
    Die Hoffnung stirbt zuletzt.

17
     
     
    D ie Vögel zwitscherten munter in den laubummantelten Bäumen, während ich den gewundenen Weg zur Kinderpsychiatrie hinaufging und durch die verglaste Drehtür trat. An der Rezeption erkundigte ich mich nach Ariel.
    Die stämmige Dame dort griff hilfsbereit zum hausinternen iCommplete. Ihre rosa Brillenkordel bewegte sich leicht, während sie telefonierte.
    »Ariel Viscot ist im Spielzimmer«, sagte sie schließlich. Ich klopfte zum Dank auf die Theke und verabschiedete mich.
    In das weiche auf- und abdimmende Licht der Deckenbeleuchtung getaucht schlängelte ich mich durch die runden Tische mit den Ledersesseln immer weiter auf die Wandverkleidung aus mintgrünen Kunststoffplatten zu. Links davon ging ein Flur ab, der, wie ich wusste, direkt zum Spielzimmer führte.
    Der Kleine saß vor dem Legoraumschiff, an dem er schon seit Tagen emsig bastelte.
    Es soll ihn nach Loduun bringen, hatte Hope seine loduunisch geflüsterten Worte