Sternenwind - Roman
»Danke«, flüsterte ich.
Ich sah Liam an. Er nickte, während ein leichtes Lächeln um seine Lippen spielte. Also hatte auch er gehört, was die Frau gesagt hatte.
Wir gingen und verließen den Kreis der Wagen. Fast glaubte ich, ein erleichtertes Aufatmen zu hören, als wir fort waren. Die Ostsippe war nie so freundlich zu uns gewesen wie die Westsippe, aber zumindest hatten die Leute es nie an Höflichkeit mangeln lassen.
Doch bisher hatte ich immer Therese auf meiner Seite gehabt. Jetzt standen wir allein da.
Liam und ich gingen zum Rand des Parks und folgten einem Pfad, der sich an der steilen Böschung zum Samtfluss nach unten schlängelte. Wir bewegten uns bewusst langsam, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Das Rauschen des Flusses wurde lauter, bis wir uns der Brücke näherten, wo der Steilhang zu einem flachen Ufer wurde. Wir stiegen weiter hinunter, hielten uns an Rotbeerenbüschen fest und hätten zweimal fast den Halt verloren.
Alicia stand auf den Flusskieselsteinen direkt am Wasser. Sie hatte uns den Rücken zugekehrt, ihr langes dunkles Haar floss in dichten Wellen herab und verhüllte ihre schlanke Gestalt. Bryan unterhielt sich mit ihr. Seine großen Hände lagen auf ihren Schultern, seine blauen Augen blickten voller Besorgnis in ihr Gesicht. Alicia schaute auf, als wir näher kamen. Ihre Wangen waren tränenüberströmt.
»Was ist geschehen?«, fragte Liam, genauso besorgt wie Bryan.
Sie holte tief Luft und kämpfte gegen ihre Tränen. »Ruth erzählt den Leuten, ich hätte Varay ermordet.«
Ermordet? Das Wort machte mich schwindlig. Solange ich lebte, hatte es keinen einzigen Mord auf Fremont gegeben – soweit mir bekannt war. Abgesehen vom Krieg. Einen Moment lang drehte sich alles um mich. War das der Grund, warum die Leute uns so schlecht behandelten?
Liam sah sie ernst an, als würde er sie einer strengen Prüfung unterziehen. »Alicia, erzähl mir, was geschehen ist.«
Sie holte erneut zitternd Luft und rieb sich die Augen. Sie waren violett – wahrscheinlich von den Tränen und vielleicht auch von zu wenig Schlaf. »Er starb einige Tage vor dem Erdbeben. Varay und ich waren Freunde. Das gefiel Ruth nicht. Er war ihr Neffe, und sie gab sich alle Mühe, ihn von mir fernzuhalten. Aber wir haben uns dadurch nicht beirren lassen. Wir haben uns so oft getroffen, wie wir konnten, und immer darauf geachtet, dass es wie eine zufällige Begegnung aussieht.« Wieder wischte sie sich die Tränen ab. »An jenem Tag schickte Ruth mich los, um nach Kräutern zu suchen, und Varay wartete nicht weit vom Lager entfernt auf mich. Er war Lehrling bei Clell, dem Biologen, in dessen Auftrag er nach einem bestimmten kleinen braunen Vogel suchen sollte, der in Steilhängen nistet. Da auch die Kräuter, die ich Ruth bringen sollte, in solchen Klippen wachsen, sind Varay und ich zusammen losgezogen.« Sie verstummte erneut, starrte auf das Wasser hinaus und hatte die Lippen fest zusammengepresst.
»Als er halb hinaufgeklettert war, verlor er den Halt. Ich war über ihm, also konnte ich nichts tun, außer hilflos zuzusehen, wie er abstürzte. Er ist mit dem Kopf aufgeschlagen.« Sie erschauerte und schlang die Arme um den Körper. »Ich stieg so schnell wie möglich hinunter und trug ihn zur Sippe zurück, aber als ich dort ankam, war er bereits in meinen Armen gestorben.«
»Das war doch kein Mord.« Arme Alicia.
»Nein. Aber ich war so verzweifelt und unglücklich, weil wir nicht daran gedacht hatten, uns anzuseilen. Nachdem ich Varays Leiche zurückgebracht und den Leuten erzählt hatte, was geschehen war, hielt ich mich von allen anderen fern.« Sie schluckte, und neue Tränen liefen ihr über die Wangen. »Ich war so traurig.«
Ich erinnerte mich an die Seife, die Therese und ich machen wollten, und wie es schmerzte, sie und Steven, Gi Lin und die anderen nie mehr wiedersehen zu können. »Ich verstehe dich«, sagte ich leise.
»Dann kam das Erdbeben, und wir waren mit anderen Problemen beschäftigt. Aber nachdem wir alles wieder in Ordnung gebracht und Varay und Gene begraben hatten, konnte ich es nicht mehr ertragen, mit irgendwem zu reden. Ruth funkelte mich jedes Mal böse an, wenn sie mich sah. Also zog ich mich zurück. Gleichzeitig gingen mir die Leute immer häufiger aus dem Weg – Leute, die mich früher wenigstens mit einer gewissen Höflichkeit behandelt hatten.«
Sie blickte zu Boden, als würde sie dort etwas suchen. »Die meisten älteren Mitglieder der Sippe misstrauen mir,
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