Sternenwind - Roman
eingearbeitet waren. Liams Zopf kitzelte mich in der Nase. »Ihr beiden seid wunderbar. Sagt uns, wenn ihr sie gefunden habt«, flüsterte ich.
Kayleen, Joseph und ich machten uns widerstrebend auf den Heimweg. Ich war beunruhigt, weil Alicia nicht am Festmahl teilgenommen und sich nicht noch einmal mit uns am Fluss getroffen hatte. Aber ich war mir sicher, dass ihr in Artistos niemand etwas antun würde. Es fühlte sich an, als wäre all der Hass, den wir langsam durch gute Taten und Hilfsbereitschaft zugeschüttet hatten, in diesem Jahr gut gewässert worden, so dass er nun aufkeimte und jeder auf Fremont ihn sehen konnte. Aber wie konnte an der Pflanze des Hasses etwas anderes sprießen als Dornen?
Als Joseph und ich zu Hause ankamen, wickelte ich die Flöte in ein weiches Tuch, das Therese für mich gemacht hatte, und legte sie auf das Fensterbrett, wo zuvor die Urnen von Steven und Therese gestanden hatten. Der ideale Platz.
Tom war im Wohnzimmer, wo er sich Notizen machte. Keine Spur von Nava, die wahrscheinlich noch beim Fest war. Ich wollte abwarten, bis Bryan mir sagen konnte, ob er mit Alicia gesprochen hatte, aber die Zeit drängte, da die Vagabunden in zwei Tagen wieder aufbrechen würden. Nachdem ich einmal tief durchgeatmet hatte, zerrte ich Joseph mit ins Wohnzimmer. »Tom, können wir mit dir reden?«
Er nickte und legte seine Papiere auf den Tisch. »Klar. Worum geht’s?«
Ich setzte mich auf den Sessel neben Tom, und Joseph zog sich auf die andere Seite des Raums zurück, fast im Schatten, aber nahe genug, um das Gespräch als Zeuge verfolgen zu können. Er wollte mir das Reden überlassen. »Wenn ich dir ein paar Fragen stelle, kannst du mir versprechen, nicht mit Nava darüber zu sprechen, bis wir dir sagen, dass wir kein Problem damit haben?«
Tom räusperte sich und ließ sich einen Moment Zeit mit seiner Antwort. »Ich bin einverstanden, euch zu informieren, bevor ich mit Nava darüber spreche, aber ich werde euch nicht um Erlaubnis fragen.«
Das war ein fairer Kompromiss. »Okay.« Meine Hände wanden sich wie etwas mit eigenem Leben in meinem Schoß, und ich zwang sie dazu, ruhig zu sein. Das Licht von Schicksal fiel durch das Fenster neben Joseph, so dass Toms Gesicht von zwei Lichtquellen beschienen wurde: dem Mond und der Lampe auf dem Holztisch zwischen uns. »Ich möchte vorausschicken, dass es nicht um uns beide geht, aber was wäre, wenn einer von uns, den Modifizierten, eines Verbrechens angeklagt würde? Würden für uns dieselben Gesetze gelten wie für alle anderen?«
Tom beugte sich vor und fixierte mich mit intensivem Blick, als er bedächtig antwortete. »Was für ein Verbrechen?«
»Ich bin noch nicht bereit, darüber zu sprechen.«
Er lehnte sich zurück und kaute nachdenklich auf der Unterlippe. »Das scheint ein sehr ernstes Gespräch zu werden. Ich werde mir ein Glas Wasser holen. Chelo? Joseph?«
Joseph stand auf. »Ich kümmere mich darum.«
»Danke.«
Während wir auf Joseph warteten, beobachtete ich Tom aufmerksam und fragte mich, wie er mit dieser Angelegenheit umgehen würde. Er blickte aus dem Fenster und wippte lautlos mit dem Fuß. Wenn es zu einer Untersuchung kam, würde er damit zu tun haben, neben Nava und den übrigen Mitgliedern des Stadtrats.
Joseph kam mit drei Gläsern zurück, die er vorsichtig balancierte und jedem von uns eines reichte. Dann nahm er wieder Platz.
Tom gönnte sich einen tiefen Schluck. »Ich glaube, dass für euch dieselben Gesetze gelten wie für mich oder irgendjemand anderen. In den Vereinbarungen, die die gesellschaftliche Grundlage unserer Kolonie bilden, ist davon die Rede, wie die Bürger behandelt werden sollten. Ich weiß nicht, ob es eventuelle Zusatzvereinbarungen gibt, was eure Adoption durch die Gemeinschaft betrifft.« Er hielt kurz inne, die Stirn in Falten gelegt, die Lippen zusammengepresst. »Ich bezweifle, dass ihr in diesem Sinne Bürger seid.«
»Ich weiß«, sagte ich. »Therese hat es mir einmal erklärt. Darin werden wir als ›Kriegsgefangene‹ bezeichnet.«
Tom runzelte die Stirn.
Joseph meldete sich zu Wort. »Aber wir sind Bürger. Wir leben hier, wir arbeiten hier, wir helfen der Kolonie. Wir gehen sogar zur Schule.«
»Das sehe ich genauso. Aber im Stadtrat sind wir zu siebt, Nava und mich eingeschlossen.«
Ich stellte mir Jenna vor, mit dem Gesicht, das um das fehlende Auge herum eingeschrumpft war. Sie galt bestimmt nicht als Bürgerin. Sie war ein Problem, eine Helferin und ein
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