Sternenwind - Roman
damit wir niemals zu dem werden, was aus euch werden wird. Das stellt uns vor ein ziemlich schwieriges Problem.«
»Habe ich jemals etwas getan, das dir missfallen hat?«
»Nicht du. Soweit ich es beurteilen kann, bist du die Ausgeglichenste und Ungefährlichste von euch allen. Aber du erinnerst dich nicht an den Krieg, die Toten, die Opfer. Alicia hätte Varay töten können. Das macht uns Angst.«
»Alicia hat Varay nicht getötet!« Mir wurde bewusst, dass ich lauter gesprochen hatte, und ich biss mir auf die Lippe, um nicht noch mehr zu sagen.
Navas Stimme war ruhig, aber eiskalt. »Dafür haben weder du noch ich einen Beweis.« Sie seufzte. »Aber wenigstens werden Tom und Paloma sie im Auge behalten können.«
»Ich habe mit ihr gesprochen! Sie hätte es nicht tun können. Sie ist deswegen todunglücklich!«
»Alicia ist wütend. Manchmal bemerke ich es auch an Bryan. Ich sehe es nicht bei dir oder Liam oder Kayleen. Auch Joseph ist wütend.«
»Joseph ist völlig in Ordnung!« Ich sagte es, obwohl es nicht stimmte. »Er wird keine Probleme machen.«
Ein paar Minuten lang gingen wir schweigend weiter. Wir hatten fast die Hälfte des Weges zum Fluss zurückgelegt, und ich hatte noch keinen ihrer Standpunkte ins Wanken bringen können. »Also sind wir stärker und schneller. Trotzdem könnten wir sechs nicht ohne die Kolonie überleben, nicht ohne euch und all die anderen. Ihr seid viel mehr, ihr könnt uns mühelos unter Kontrolle halten. Warum habt ihr so große Angst vor uns?«
»Wir wissen nicht, was ihr seid. Ihr wisst es selber nicht. Schau dir Jenna an. Sie hat fast nichts mit uns zu tun, und doch schafft sie es als einzelne, schwer verletzte, genetisch modifizierte erwachsene Frau, unsere gesamten Grenzen zu schützen. Sogar ziemlich gut. Dennoch vergessen wir nie, dass sie nicht menschlich ist. Wir wissen nicht, wie viele von uns sie während des Krieges getötet hat. Sie ist nur noch am Leben, weil wir es nicht wissen, weil niemand von uns gesehen hat, wie sie jemanden getötet hat.«
Ich sagte nicht, dass ich gedacht hatte, sie wäre nur am Leben, weil niemand in der Lage gewesen war, sie zu töten.
»Aber wenn sie mühelos Tatzenkatzen und Gelbschlangen erlegen und Dämonenhunde vertreiben kann«, fuhr Nava fort, »fragen wir uns, was sie mit uns tun könnte. Jenna wird uns alle überleben. Ihr werdet uns alle überleben. Woher wollen wir wissen, welche Pläne sie verfolgt? Wie ihre Pläne für euch aussehen?«
Damit traf sie einen empfindlichen Nerv. »Auch sie braucht die Kolonie, um zu überleben. Ihr seid zu wenig bereit, uns eine Chance zu geben.«
Nava seufzte schwer und ließ sich auf einer Bank nieder. »Setz dich. Ich will dir eine Geschichte erzählen.«
Ich nahm ihr gegenüber auf der Bank Platz, streckte die Beine aus, lauschte dem Rauschen des Wassers, den fernen, schwachen Geräuschen des Lebens in Artistos.
Nava nahm einen tiefen Atemzug. »Ich war in deinem Alter, als die Modifizierten landeten. Zuerst begegneten wir uns mit Misstrauen. Es dauerte eine Weile, bis aus den Sorgen Krieg geworden war. Ich erinnere mich noch, wie meine Eltern nächtelang diskutiert haben. Wir waren zuerst hier, und wir wollten nicht verschwinden. Außerdem konnten wir es gar nicht. Die Weltenreise hat nicht genug Treibstoff für eine weitere interstellare Reise, und es war sowieso niemand in der Lage, das Schiff zu navigieren. Wir schafften es kaum, Leute zu finden, die mit den Fähren hinauf- und hinunterfliegen konnten. Vielleicht hätten wir es akzeptiert, wenn sie einfach nach Islandia gegangen wären und uns hier auf Jini in Ruhe gelassen hätten.«
Sie blickte auf den Fluss. Ihrer Stimme fehlte die übliche Schärfe. »Ich wurde hier geboren. Meine Eltern wurden hier geboren. Ihre Eltern wurden hier geboren, aber sie wuchsen mit den Lebensgeschichten von Menschen auf, die nicht hier geboren waren. Wir haben Fremont zur Welt der Menschen erwählt, der wahren Menschen. Du weißt, was uns wichtig ist. Wir wollen als Familie leben und sterben und uns so akzeptieren, wie wir sind, ohne etwas daran ändern zu wollen. Wir wollen unser natürliches Potenzial entwickeln, ohne uns mit Maschinen aufzurüsten oder unsere Gesichter, unser Leben oder unseren Tod zu verändern.« Sie schien von ihrer eigenen Geschichte mitgerissen zu werden, und sie erzählte sie nicht nur mir, sondern auch sich selbst. »Was unsere Vorfahren auf Chrysops erlebt hatten, war uns eine Warnung vor der Gefahr des
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