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Sternenwind - Roman

Sternenwind - Roman

Titel: Sternenwind - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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Andersseins. Ursprüngliche Menschen konnten nicht mehr über ihr eigenes Schicksal bestimmen, sie durften nicht mehr führen, ihre Stimme wurde nicht mehr gehört. Die Welt da draußen« – sie zeigte in den Himmel – »ist gefährlich. Also kamen wir hierher. Dann folgte uns das, was wir zurückgelassen hatten.«
    Sie streckte die Arme aus und ließ die Fingerknöchel knacken. »Mit diesen Geschichten bin ich aufgewachsen. Aber es waren nur Geschichten, bis eure Leute hier landeten. Mir ist, als hätten wir gar nicht geglaubt, dass sie wahr sein könnten. Es waren auch gar nicht so viele Modifizierte, nur etwa dreihundert, aber sie wollten über uns herrschen und sich hier niederlassen. Und sie sagten, dass sie uns helfen wollten.«
    Sie machte eine kurze Pause. »Aber wir wollten keine Hilfe. Trotzdem weigerten sie sich, unsere Welt zu verlassen. Es fing in ihrem Lager an, ein kleines Stück außerhalb von Artistos. Zwei ältere Brüder meines Freundes, mein Bruder und ein paar weitere junge Männer stellten sich den Modifizierten. Es war nur ein Modifizierter, aber bis auf einen starben alle jungen Männer. Mein Bruder starb. Und der Modifizierte, der ihn tötete, benutzte keine Waffe. Nur seine bloßen Hände.«
    Jetzt klang ihre Stimme höher und angestrengter. »Mein Vater war ein sanfter Mann. Er liebte es, Dinge zu machen. Er hat beim Aufbau der Stadtmauer, der Gebraställe und des Wasserwerks mitgeholfen. Wenn er nach der Arbeit verschwitzt und müde nach Hause kam, hat er uns vorgelesen und Spielzeug für die kleineren Kinder geschnitzt. In der Nacht, als der Krieg begann, kam er weinend nach Hause. Ich hatte ihn nie zuvor weinen sehen. Er nahm meine Mutter und mich in die Arme und hielt uns. Er erzählte uns, dass er eine Zeitlang fort sein würde, dass wir innerhalb der Stadtmauern bleiben mussten, dass wir uns ruhig verhalten sollten.«
    Eine Mondmotte flatterte vor Navas Gesicht, und sie wischte sie weg, damit sie nicht von ihr gebissen wurde. »In den nächsten drei Jahren kam er so oft wie möglich nach Hause. Er wurde dünner. Seine Augen veränderten sich – beziehungsweise das, was darin war. Wut und Furcht und Hass …«
    Sie hielt inne und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Die Dunkelheit machte ihre Züge weicher, plötzlich schnappte sie nach Luft, griff nach der Armlehne der Bank und beugte sich vor. »Zu den Beerdigungen kam er nach Artistos zurück. Die Nächte verbrachte er fast nie in unserem Haus.«
    Ich dachte an meine eigenen Eltern, an Chiaro, die für uns sorgte, weil sie im selben Krieg kämpften. Auch ich hatte sie nur selten gesehen.
    »Dann, eines Abends, brachte man seine Leiche in die Stadt. Meine Mutter weinte tagelang. Ich erinnere mich nur, dass ich wie betäubt war. Ich konnte es nicht glauben. Ich rechnete jeden Tag damit, dass er wieder zur Tür hereinkam. Zu dieser Zeit waren bereits sehr viele gestorben. In den ersten fünf Jahren des Krieges verloren wir über dreihundert Menschen – und sie weniger als einhundert. Eine Zeitlang dachte ich, dass jeder auf Fremont sterben würde.«
    Sie blickte auf ihre Hände, als würde sie darin nach einem Geheimnis suchen. »Zwei Wochen nach dem Tod meines Vaters kam meine Mutter zu mir und sagte mir, Hunter hätte beschlossen, dass wir alle kämpfen müssen. Mutter sagte, dass wir alle sterben würden, aber das war immer noch besser als das Leben, das uns erwartete. In dieser Nacht packten wir unsere Sachen und verließen die Stadt. Hunter war brillant und tapfer, und wir hatten trotzdem immer neue Opfer zu beklagen. Der Wunsch meiner Mutter wurde erfüllt, und sie starb.«
    Ich beugte mich vor und hätte mit den Fingerspitzen fast ihre Schulter gestreift.
    Sie zuckte zusammen und wich zurück. »Entschuldigung«, murmelte sie dann. Aber sie machte keine Anstalten, meinen Versuch einer Berührung zu erwidern.
    »Die Jahre nach ihrem Tod sind in meiner Erinnerung verschwommen. Ich fühlte mich schrecklich allein, und weil ich schnell laufen konnte, trug ich Nachrichten von einem Lager ins andere und half bei der strategischen Planung.« Ihre Stimme wurde wieder härter und schärfer. »Ich wollte, dass sämtliche Modifizierten sterben. Ich erinnere mich noch gut an den Tag, als die Fernfahrt aufbrach. Stile und Eric kehrten über den Hochweg nach Artistos zurück, wo sich fast niemand mehr aufhielt. Wir hörten das tiefe Grollen des Schiffs, sahen, wie es sich von der Grasebene erhob, und jubelten. Wir schrien und hüpften

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