Sternhagelverliebt
»Magst du indisches Essen?«
»Sicher.«
»Würde es dir etwas ausmachen, zu bestellen?« Ich reiche ihm die Speisekarte. »Ich muss mal kurz ins Bad.«
Er stimmt zu, und ich gehe den Flur entlang und schließe die Tür zum Badezimmer hinter mir. Dann betrachte ich mich selbst im Spiegel. Ich sehe furchtbar aus. Vollkommen verkatert. Kein Wunder, dass Henry nicht zugeben wollte, mich geküsst zu haben.
Aber er hat mich, laut Greer, richtig gut geküsst. Warum, oh, warum kann ich mich nur nicht daran erinnern?
Ich bürste mir die Haare. Das Telefon klingelt.
»Lass den Anrufbeantworter rangehen«, rufe ich durch die geschlossene Tür.
Das Telefon schrillt noch einmal und verstummt dann, doch ich kann die lauten Klickgeräusche nicht hören, die der Anrufbeantworter sonst immer macht. Vielleicht hat der Anrufer ja wieder aufgelegt.
Als ich fertig bin, gehe ich zurück ins Wohnzimmer. Henry steht mit dem Telefonhörer in der Hand einfach da. Er sieht fassungslos aus.
»Henry? Was ist los?«
Er legt langsam auf, sagt jedoch kein Wort.
»Henry, du machst mir Angst. Wer war am Telefon? Hatte es etwas mit Amber zu tun?«
»Ja, es hatte etwas mit Amber zu tun.«
»Geht es ihr gut? Wer hat angerufen?«
Mit leerem Blick sieht er mich an. »Es war Bob, der angerufen hat, um dich daran zu erinnern, dass dein Artikel am Freitag um fünf fällig ist – keine Ausreden. Und er hat außerdem gehört, dass Amber vermisst wird, und wollte, dass du dem nachgehst.«
Mir stockt der Atem, und ich erstarre.
»Du bist an mein Telefon gegangen?«
Seine Miene wird hart. »Ist das alles, was du zu sagen hast? Meine Güte, Kate. Jetzt mach mal halblang.«
»Henry, es ist nicht so, wie du denkst.«
»Ach, wirklich? Also schreibst du keinen Artikel über Ambers Zeit in der Entzugsklinik für ein verfluchtes Klatschmagazin und du benutzt mich auch nicht, um an Informationen zu kommen?«
»Nein. Ich benutze dich nicht, um an Informationen zu kommen.«
»Kate, kannst du endlich aufhören, mich anzulügen? Würdest du einfach damit aufhören?«
Er ist wütend, enttäuscht und angewidert. Genau dasselbe empfinde ich auch. Ich bin wütend, ich bin enttäuscht und angewidert – von mir selbst. Wenigstens sind wir uns in diesem Punkt einig.
All die Müdigkeit, die ich zurückgedrängt habe, kehrt mit einem Schlag zurück. Ich habe nicht einmal mehr die Kraft, zu lügen.
»Ich weiß nicht, wie ich aufhören soll.«
»Was soll ich damit anfangen, Kate?«
»Ich weiß es nicht. Was soll ich sagen? Was soll ich tun?«
Er starrt mich an. Ich warte darauf, dass er losbrüllt oder schreit oder weggeht. Doch stattdessen sagt er nach einem kurzen Moment: »Fang einfach am Anfang an.«
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24. Kapitel
Warte einen Moment, bis du loslassen kannst
U nd so erzähle ich ihm alles. Ohne Beschönigung. Ohne irgendetwas auszulassen. Vom Tag vor meinem Geburtstag bis heute. Ich sage die Wahrheit und nichts anderes. Ich lasse ihn sogar den Artikel lesen in der Hoffnung, dass die Tatsache, dass ich darin ehrlich, jedoch nicht hart über Amber geschrieben habe, ein erster Schritt in Richtung Vergebung sein kann.
Während ich ihm das alles erzähle, ändert sich mein Blickwinkel. Endlich werden mir einige grundlegende Dinge über mich selbst klar. Dinge, die ich schon wusste, die ich ihm schon
gebeichtet,
aber nie ganz akzeptiert habe. Ich bin eine Lügnerin. Ich habe ein Alkoholproblem. Mein Leben ist außer Kontrolle geraten.
Und, ach ja, ich glaube, ich habe mich in Henry verliebt.
Das sind die einzigen Sachen, die ich zurückhalte, doch sie liegen so klar auf der Hand, dass ich mir sicher bin, dass er sie auch sehen kann. Als würde ein Flugzeug sie in den Himmel schreiben. Kleine Wölkchen, die die Worte »Lügnerin«, »Alkoholikerin« und »Liebe« bilden.
Als ich fertig bin, sitzt Henry stumm auf der Couch. Er hat die Augen geschlossen, und seine Lippen bewegen sich.
Ich warte auf den großen Knall. Und wenn ich so darüber nachdenke, frage ich mich, warum er mich nicht anschreit? Warum läuft er nicht im Zimmer auf und ab und flippt aus? Warum ist er immer noch hier?
Ich beobachte ihn, abwartend, hoffend, nervös. »Henry? Was ist los?«
»Nichts. Ich denke nach.«
»Worüber?«
»Sei still, Kate.«
Ich bin still, aber mein Gehirn arbeitet auf Hochtouren. Ich wünschte, ich könnte einen Blick in seinen Kopf werfen, so wie ich ihm einen Einblick in meinen gewährt habe. Doch andererseits ist es vielleicht besser, wenn ich
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