Sternhagelverliebt
Er trägt ein blaues Sweatshirt und eine verblichene Jeans. Auf seinem Kinn sind Bartstoppeln zu erkennen. Im Gegensatz zu gestern Abend sieht er jetzt wieder eher wie der Henry aus, den ich aus der Entzugsklinik kenne.
»Wie spät ist es?«
»Es ist fast Mittag. Zeit, aufzustehen.«
»Ich war schon auf«, erwidere ich lahm. »Ich habe geduscht …«
Er wendet den Blick ab. »Ich habe dir eine Zahnbürste neben das Waschbecken gestellt.«
Natürlich hast du das getan. Weil du perfekt bist, und weil ich ein Alptraum bin, der dich nicht verdient hat.
»Danke.«
»Vergiss es.«
Henry zieht die Vorhänge auf und lässt das Tageslicht herein. Unterdessen schlage ich die Decke zurück und stelle meine Füße auf den flauschigen Teppich. Mir ist noch immer ein bisschen schwindelig, doch ich glaube, dass es eher mit Henrys kühler Miene als mit dem Restalkohol zu tun hat.
Ich stehe auf, und Henry mustert mich verwirrt von Kopf bis Fuß. Ich verstehe seine Reaktion nicht ganz, bis es mir wieder einfällt: Ich trage seine Klamotten.
»Tut mir leid, ich habe mir das hier ausgeliehen.« Zerknirscht blicke ich an mir herab.
»Ist schon okay.«
»Gib mir ein paar Minuten, dann bin ich verschwunden.«
»Ja, das ist wahrscheinlich das Beste«, murmelt er.
Der vernünftige Teil meines Gehirns weiß, warum er sich so verhält, der emotionale Teil dagegen ist sauer. Muss er so kalt und distanziert sein?
»Was ist los, Henry?«
»Nichts.«
»Das ist Unsinn.«
Seine Augen blitzen auf. »Ja, vielleicht ist es das. Aber das ist meine Sache.«
»Hör zu, ich kann verstehen, dass du von mir enttäuscht bist oder was auch immer, aber ich bin nicht perfekt, okay? Du weißt nicht, wie meine Woche war …«
Er hebt abwehrend die Hand. »Ich will es nicht hören. Was auch immer für eine Entschuldigung du hast: Ich habe sie alle gehört, und im Augenblick habe ich echt größere Probleme.«
»Gott, Henry, ich bin nicht
Connor,
ja … Was soll das heißen, du hast im Augenblick größere Probleme?«
Er zögert. »Amber ist verschwunden.«
»Was?«
»Seit gestern Abend hat niemand sie mehr gesehen. Sie ist aus der Bar gestürmt, als Kimberley auftauchte, und sie geht nicht an ihr Handy.«
»Sucht Connor nach ihr?«
Er sieht wütend aus. »Nein.«
»Wie hast du davon erfahren?«
»Olivia hat angerufen.«
Etwas taucht aus dem Blackout auf. Ich glaube, Henry und Olivia waren mal zusammen. Typisch, das ist natürlich das Erste, was mir wieder einfällt!
Ich warte auf weitere Erinnerungen, doch es kommt nichts mehr.
»Hat Amber so etwas schon mal getan?«
»Ein paarmal. Beim letzten Mal war sie anschließend auf YouTube …«
»Mist.«
»Ja.
Mist.
«
»Wir sollten nach ihr suchen.«
»Ich weiß.«
»Tja, dann los. Lass uns gehen.«
Angespannt beißt er sich auf die Unterlippe, als würde er mit sich ringen. Nach einer Weile seufzt er. »Okay, du kannst mitkommen.« Er geht zur Tür und nimmt eine Einkaufstüte hoch. »Das ist für dich.«
Ich nehme ihm die Tüte aus der Hand und sehe hinein. Ein T-Shirt, Jeans, ein BH , Unterwäsche und ein Paar Sneakers. Ein kurzer Blick genügt, um festzustellen, dass alles genau meine Größe hat.
»Wie hast du das geschafft?«
Er zuckt die Achseln. »Ich habe Erfahrung.«
Also gut.
Ich bemühe mich, locker zu klingen. »Weil du schon oft betrunkene Mädchen nach Hause gebracht hast?«
Er schenkt mir kein Lächeln. »Nein. Das ist Teil des Jobs. Das will Connor immer so haben.«
»Dass für einen One-Night-Stand ein Outfit bereitliegt?«
Scheiße. Warum habe ich mich gerade selbst als One-Night-Stand betitelt?
»Jepp.«
»Aber ich dachte, er und Amber wären schon seit Ewigkeiten zusammen.«
»Komm schon, Kate …«
»Klar. Tut mir leid. Ich sollte nicht so naiv sein.«
Seine Miene wird weicher. »Nein, das solltest du nicht.«
Ich gehe mit der Tasche ins Badezimmer und schlüpfe aus Henrys Klamotten. Als ich das Shirt über den Kopf ziehe, kann ich ihn riechen – ein bisschen Weichspüler und sein würziger Duft. Ich halte mir das Shirt an die Nase und atme tief ein. Wenn es doch nur genauso leicht wäre, mit Henry zusammen zu sein. Locker und irgendwie warm und duftig.
»Passt alles?«, erkundigt sich Henry durch die geschlossene Tür.
Eilig lege ich das T-Shirt beiseite und nehme die Kleider aus der Tüte.
»Ja. Woher kennst du meine Größe?«
Denn dieser BH und die Unterwäsche (schlichte weiße Baumwolle, genau wie die Wäsche, die ich gestern Nacht
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