Sternhagelverliebt
Sie enthält eine zehnstellige Telefonnummer. Perfekt. Einfach perfekt.
Während des Mittagessens (das ich allein zu mir nehme und darüber ausnahmsweise froh bin) überlege ich, wie ich die Nummer anrufen kann. Am naheliegendsten wäre es, einen der Münzfernsprecher an der Wand vor der Cafeteria zu benutzen. Es ist uns gestattet, das Telefon für zehn Minuten pro Woche zu benutzen. Dafür gibt es zwei Wertmarken über je fünf Minuten.
Doch die Telefone befinden sich im öffentlichsten Bereich des Hauses. Patienten, Personal, Ärzte, Saundra – ständig kommen Leute vorbei, was es unmöglich macht, eine private Unterhaltung zu führen; was vermutlich auch der Grund für die Wahl dieses Platzes ist. In meiner Kindheit war es mit unserem Telefon, das meine Eltern in der Küche angebracht hatten, nicht anders. Kein Teenager wäre wohl dumm genug, ein wildes Saufgelage in Hörweite der eigenen Mutter zu organisieren, oder? Ha!
Scheiße. Ich wünschte, ich könnte es wie Matthew Broderick in
WarGames
machen und mich ins Büro des Rektors schicken lassen. Während er abgelenkt wäre, könnte ich heimlich seine Schreibtischschublade öffnen und das neue Passwort stehlen. Was sollte dabei schiefgehen?
»Würden Sie mir einen Augenblick lang Ihre Aufmerksamkeit schenken?«, sagt Carol, die im vorderen Bereich der Cafeteria steht. »Wie Sie alle wissen, werden Gerry und Keith uns heute verlassen …«
Wie gewöhnlich folgt eine lange Rede über die Abreise des Anwalts und des Produzenten, bis dann irgendwann zum gemeinsamen Gesang übergeleitet wird … Einen Moment mal. Das ist gut. In circa 30 Sekunden wird jeder hier im Raum für ungefähr drei Minuten aus voller Kehle singen. Die perfekte Ablenkung.
Ich stehe auf und eile aus dem Raum, ohne Saundras missbilligenden Blick zu beachten. Ich bin mir sicher, dass ich mir während meiner nächsten Sitzung einen Vortrag über meine mangelnde Bindung zu den anderen Patienten anhören muss. Schon wieder.
Hastig angele ich zwei Wertmarken aus meiner Tasche, werfe sie in den Apparat und wähle Bobs Nummer. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals.
Das Telefon klingelt genau dreimal. »Wenn das jetzt kein Notfall ist …«
»Das ist es.«
»Ist sie gegangen?«
»Nein.«
»Bist du an einem sicheren Ort?«
»Nein.«
»Kannst du mir einen Hinweis geben?«
Ich lege meine Hand um die Sprechmuschel. »Passwort.«
Ich höre eine Faust auf einen Schreibtisch krachen. »Verdammt! Ich habe so etwas befürchtet. Wie viel Zeit hast du?«
»Nicht lange.«
»Was ist das für ein grauenvoller Lärm?«
»Gesang.«
»Was zum Teufel …«
»Frag nicht.«
Am anderen Ende der Leitung herrscht Stille. Ich glaube, sein leicht keuchendes Atmen zu hören, aber über den echt schlechten Gesang hinweg ist das schwer zu sagen.
»Bist du noch da, Bob?«
»Benutz nicht meinen Namen.«
»Tut mir leid.«
»Gut. Wir können dir das neue Passwort besorgen. Kann ich dich anrufen?«
»Nein.«
»Kannst du mich anrufen?«
»Erst nächste Woche wieder.«
»Scheiße. Irgendeine Idee, wie ich es dir übermitteln kann?«
Als würde ich nicht schon genug tun.
Fieberhaft denke ich nach. »Schick mir ein Carepaket.«
»Durchsuchen sie die nicht?«
»Sicher. Allerdings sehen sie nur nach dem Offensichtlichen.«
Er schnalzt dreimal mit der Zunge. »Ja, gut. Mir fällt auch nichts Besseres ein. Hast du eine Freundin, der du vertraust?«
»Warum?«
»Damit sie es dir schicken kann? Ich kann es wohl kaum von hier aus versenden.«
Stimmt. Das wäre schlecht. Doch wem kann ich mich damit anvertrauen?
»Ich werde versuchen, meine Freundin Greer dazu zu bringen, dich anzurufen.«
»Erzähl ihr nur das Nötigste.«
»Selbstverständlich.«
Es klickt, und als Nächstes höre ich das Freizeichen. Es war mir ein Vergnügen, mit dir zu sprechen, Bob – wie immer.
Der Gesang in der Cafeteria verstummt, als ich gerade auflege. Wozu zum Teufel habe ich soeben meine Zustimmung gegeben? Selbst wenn es mir gelingen sollte, an weitere Wertmarken zu kommen, wird es erst wieder in drei Tagen, wenn Mary abreist, eine gesangliche Ablenkung geben. Auf keinen Fall kann ich Greer die Sache an diesem öffentlichen Telefon erklären.
»Wer ist Bob?«, erklingt plötzlich Ambers Stimme hinter mir.
Erschrocken zucke ich zusammen, und mein ohnehin schon hämmerndes Herz schlägt noch ein bisschen schneller. Ich drehe mich zu ihr um. Sie sieht mich fragend an. »Herrgott noch mal, du hast mich zu Tode
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