Sternstunde der Liebe (German Edition)
Kehle war wie zugeschnürt. »Im wahrsten Sinne des Wortes.«
Er lehnte sich in dem bequemen Ledersitz zurück, seine knorrigen Hände umklammerten den Türgriff. Der Sportwagen war klein, kompakt, kaum groß genug für zwei Personen. Er hätte nicht im Traum daran gedacht, dass er eines Tages ein solches Gespräch mit Elizabeth führen würde – mit Rumer vielleicht, aber nicht mit Zee.
»Sie hatte nur zwei Hände«, sagte er. »So viel Liebe sie auch zu geben vermochte, sie konnte nicht genug für alle Babys tun.«
»Nein?« Ihre Miene ließ erkennen, dass sie ganz Ohr war, spiegelte ihr Interesse an der Geschichte wider, doch ihr Blick umwölkte sich, als sie das Gesicht ihres Vaters sah.
»Viele Kinder kamen hier zur Welt«, fuhr Sixtus fort, als hätte sie nichts gesagt. »Ihre Korbwiegen waren in Reihen angeordnet, wie die Lebensmittelregale im Supermarkt. Ich erinnere mich, wie ich mit meinem Bruder durch die Gänge spazierte, die kleinen Kinder anschaute … unsere Mutter schmuggelte uns herein, wenn das Wetter zu schlecht war, um bei den Blue Rocks angeln zu gehen.«
»Klingt nicht übel.«
»Das konnte sie aber nicht jeden Tag machen. Wir waren selbst noch sehr jung und brauchten unsere Mutter. Aber wir waren auf das Geld angewiesen … sie sprang immer ein, wenn jemand benötigt wurde. Und je mehr sie arbeitete, desto enger wurde ihre Bindung an die Kinder.«
»Und was habt ihr in der Zeit gemacht?«
»Auf uns selber aufgepasst, so gut es ging. Wir spielten an der Küste, auf den Felsen; mein Bruder schwänzte oft die Schule. Brachte sich in Schwierigkeiten … ich tat mein Bestes, um ihn wieder auf den richtigen Weg zu lotsen, aber er wollte damit ihre Aufmerksamkeit wecken.«
»Die Aufmerksamkeit deiner Mutter?« Elizabeth versteifte sich. Dachte sie an ihre Beziehung zu Sixtus? Oder an ihre Beziehung zu Michael?
»Ja. Sie kam immer erschöpft nach Hause, übernahm sich ständig. Die Kinder gehörten allen Altersgruppen an. Säuglinge, Kleinkinder … ganz zu schweigen von den jungen Müttern.«
»Deine Mutter versuchte also, alles unter einen Hut zu bringen.«
»Wie ich bereits sagte, sie brauchte das Geld. Und sie hatte ein großes Herz.«
»Traurig«, sagte Zee, die Lippen zusammengepresst. Sixtus blickte herüber. Er spürte, dass sie sich in ihr Schneckenhaus zurückzog. Solchen Themen fühlte sie sich nicht gewachsen, sie waren mit zu vielen Gefühlen behaftet. Sie machte Anstalten loszufahren, aber Sixtus legte seine Hand auf ihre.
»Warte. Das ist noch nicht alles.«
»Das ist schlimm, Dad. Ich dachte mir schon, dass so etwas passiert sein muss – ich wusste, dass du eine schlimme Kindheit hattest, und es tut mir Leid.«
»Keine Ausflüchte, Liebes. Dass ich mich als Vater abgekapselt habe, ist ausschließlich meine eigene Schuld. Ich habe meine eigenen schmerzlichen Erfahrungen an dich weitergegeben, und damit muss ich nun leben.«
»Zerbrich dir deswegen nicht den Kopf.«
»Das sagt sich so leicht, aber ich mache mir trotzdem Sorgen. Es tut mir so Leid, Elizabeth. Ich war nicht oft genug für dich da, als du ein kleines Mädchen warst, und ich weiß es –«
Elizabeth blinzelte heftig, als könnte sie damit die Erinnerungen vertreiben.
»Meine Mutter begann nach der Arbeit im Heim zu trinken. Zuerst war es nur ein kleiner Sherry, vor dem Zubettgehen – zur Entspannung und um besser einzuschlafen. Sie weinte oft, erzählte uns von den Babys, die krank waren, zu früh geboren wurden … sie waren am schlimmsten dran, ihnen wollte sie in erster Linie helfen.«
»Michael war eine Frühgeburt«, sagte Elizabeth versonnen.
Sixtus nickte. Er erinnerte sich, wie bei Elizabeth die Wehen begonnen hatten, sieben Wochen vor dem errechneten Geburtstermin. Sie hatten Michael vom Entbindungszimmer in die Intensivstation für Neugeborene geschafft, auf dem schnellsten Weg, und dort musste er mehrere Wochen bleiben. Während dieser Zeit war kein Tag vergangen, an dem Sixtus nicht an die Schutzbefohlenen seiner Mutter gedacht hatte, an die anderen Babys, diejenigen, die es nicht geschafft hatten; wenn er für seinen neugeborenen Enkel betete, betete er auch für sie.
»Die Trinkerei stumpfte ihre Seele ab«, sagte Elizabeth bitter. »Genau wie bei mir.«
»Das ist meine Schuld, ich habe dich soweit gebracht.« Sixtus’ Augen füllten sich mit Tränen, als er blind nach ihrer Hand tastete. »All die Probleme, die du hattest – ich war der Auslöser, weil du dich von mir
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