Sternstunde der Liebe (German Edition)
Pfeife.
»War’s nett mit deiner Tochter?«
»Elizabeth? Ja, war es.«
»Hübsches Mädel«, sagte Malachy. »Ich habe mir alle ihre Filme angeschaut.«
»Sie würde sich freuen, das zu hören.«
»Ihr habt also gemeinsam eine Spritztour über die Insel gemacht? Auf der Suche nach euren Wurzeln?«
»Ich bin ein ausladender Baum«, sagte Sixtus. »Habe überall Wurzeln.«
Malachy nickte. »Haben wir das nicht alle? Ein Mensch kann nicht so alt werden wie wir, ohne hier und da Wurzeln zu schlagen.«
»Und sich dabei aufreiben.«
»Findest du?«
Sixtus zuckte die Achseln, beobachtete, wie die schwarz- silbernen Fische pfeilschnell an dem roten Bootsrumpf vorbeizogen. Die Clarissa wartete auf ihn, in unmittelbarer Nähe am Kai, bereit zum Ablegen.
Er hatte gedacht, einen Wink vom Schicksal zu erhalten – die Reise in die Vergangenheit, die gleichzeitig eine Möglichkeit bot, Rumer ein für alle Mal zu entlasten. Doch hierher zu kommen und Elizabeth zu treffen hatte ihm eines vor Augen geführt: die tief verwurzelte Liebe, die zwischen sämtlichen Generationen seiner Familie bestand. Er hätte alles dafür geben, seine Mutter wieder zu sehen. Und er wusste, dass er nicht fern von Rumer sterben wollte, von einem Ozean getrennt.
Wie er so mit Malachy an Deck saß, spürte Sixtus plötzlich, dass ihm der Wind aus den Segeln genommen wurde.
»Aaah.«
»Was ist?«, fragte Malachy.
»Ich bin mir nicht sicher. Aber ich habe das Gefühl, als sei mir soeben ein Licht aufgegangen.«
»In deinem Alter?«
»Du meinst, in unserem Alter gäbe es nichts mehr zu lernen?«
Malachy schmunzelte und biss auf seinen Pfeifenstiel. »Oje! Für einen Lehrer bist du ein bisschen schwer von Begriff. Du müsstest wissen, dass die echten Lernprozesse gerade erst beginnen – wenn wir den ganzen Ballast der Jugend abgeworfen haben.«
»Den Ballast der Jugend …«, sagte Sixtus und sann über diese Redewendung nach.
»Ich weiß, wovon ich rede, Mann. Von dem ganzen Mist, der mit dem aufgeblähten Ego einhergeht, mit Angeberei, Männlichkeitsgehabe, Positionskämpfen, Manipulation, Taktieren, dem Wandertrieb, dem Bestreben, die Frau fürs Leben, die Beförderung, die Forschungsgelder an Land zu ziehen. Kapiert?«
»Und ob. Ich schätze, du hast noch was ausgelassen, nämlich Schuldgefühle und heimlichen Groll.«
»Zwei, die ganz oben auf der Liste stehen – Entschuldigung, mein Fehler.«
»Malachy. Glaubst du an die Sünden der Väter – und Mütter?«
»Hundertprozentig.«
»Und bist du der Meinung, dass die Kinder dafür geradestehen müssen?«
»Interessante Frage. Warum? Spielst du auf deine Töchter an?«
Sixtus dachte an Rumer und Elizabeth, an Michael in der nächsten Generation und an seine eigenen Eltern. Nach dem Tod seines Vaters in Galway war seine beherzte Mutter allein mit ihren beiden Zwillingssöhnen ausgewandert und in Nova Scotia sesshaft geworden. Sie lag in Fox Point begraben, nur wenige Meilen vom Cuthbert-Kinderheim entfernt.
»Auf meine Töchter und auf mich selbst.«
»Väter und Töchter«, sagte Malachy. »Mütter und Söhne. Unser Herrgott hat vermutlich Überstunden gemacht, als er diese komplizierten Beziehungen geschaffen hat. Unter uns gesagt, deshalb genieße ich meine Arbeit mit den Delfinen so sehr.«
»Ich möchte das Grab meiner Mutter besuchen«, sagte Sixtus. »Um für die letzte Etappe gerüstet zu sein.«
»Ich fahre dich gerne hin. Es sei denn, deine Tochter –«
»Sie hat zu tun«, erwiderte Sixtus leise.
»Aha. Ich stehe zu Diensten, wann immer du willst. Nachdem du deine sieben Makrelen verspeist hast. Und danach geht’s gleich weiter nach Irland?«
»Die Wurzeln, über die wir vorhin gesprochen haben, weißt du noch?«
»Gewiss. Nova Scotia, Galway … deine sind überall verstreut.«
»Trotzdem, jeder Baum hat eine Pfahlwurzel. Das ist die wichtigste, die Hauptwurzel. Diejenige, die über Leben und Tod des Baumes entscheidet. Meine Hauptwurzel –« Sixtus konnte nicht weitersprechen, seine Kehle war zugeschürt.
»Ist in Connecticut«, sagte Malachy sanft. »In Hubbard’s Point, bei Rumer. Das ist doch ganz natürlich. Das war mir von Anfang an klar. Warum nach den Nebenwurzeln suchen, wenn du die Hauptwurzel bereits ausgemacht hast? Du kehrst nach Hause zurück, habe ich Recht?«
»Ja, Mal«, sagte Sixtus. »Ich kehre nach Hause zurück.«
25
W ährend der zweiten Nacht in Rumers Haus hörte die Kaninchenmutter auf, zwei ihrer Jungen zu säugen.
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