Sternstunde der Liebe (German Edition)
langsam der gewundenen Straße durch Hubbard’s Point, unter dem Eisenbahnviadukt hindurch, auf die Hauptstraße. Erinnerungen aus längst vergangener Zeit schienen sich anzuhäufen und zu verdichten. Die Marschen, die sich mit ihrem frischen Grün für den Sommer rüsteten, erstreckten sich in Richtung Osten und bildeten die Flussmündung des Connecticut River.
Sie entsann sich wieder des wunderbaren, tief verwurzelten Gefühls, einen besten Freund zu haben, einen Seelengefährten. Zeb: das Wissen, dass sie miteinander durch dick und dünn gehen würden, komme was da wolle, für den Rest des Lebens. Sie gehörten zusammen, waren durch einen unsichtbaren goldenen Faden verbunden, den nichts zerreißen konnte. Er war in der Lage, sie kraft seiner Gedanken zu erreichen, wo immer sie sich auch befand. Und wenn seine Finger ihre Haut streiften, spürte sie das Feuer in ihrem Herzen bis ins Mark.
Ihre Gedanken schweiften unbeschwert ab, kehrten zu gemächlichen und ziellosen sommerlichen Wanderungen zurück, die zum Strand hinunterführten, durch ausgetrocknete Flussbetten, zum Indian Grave. Sie fingen Blaukrabben, rannten um die Wette zu der Treibholz-Ansammlung, wärmten sich gegenseitig, wenn am Strand Filme unter freiem Himmel gezeigt wurden. Sie konnte beinahe seine Haut sehen, glatt und gebräunt, seidig wie die einer Robbe. Seine zerzausten, von der Sonne ausgebleichten Haare, sein umwerfendes Lächeln – die Vorstellung versetzte ihr immer noch einen Schlag, wie eine Unheil verkündende Warnung, solche Gefilde zu meiden.
Sie ignorierte sie, straffte ihren Rücken.
Jeder Sommer hatte sein eigenes Gepräge gehabt. Im vierten gemeinsamen Sommer hatten sie schwimmen gelernt; im siebten waren sie nach Gull Island hinausgerudert; im neunten hatten sie begonnen, Zeitungen auszutragen; der elfte war mit Schwimmen und Angeln ausgefüllt; im fünfzehnten hatte Rumer sich in ihn verliebt und eine so zarte Sehnsucht nach ihm verspürt, dass sie zu ihrer ständigen Begleiterin geworden war. Sie hatte nur noch an ihn gedacht. Wenn sie Liebeslieder im Radio hörte, die sie an ihn erinnerten, hatten sich ihre Augen mit Tränen gefüllt, und sie war überzeugt gewesen, dass ein einziges Leben nicht annähernd für alle Dinge ausreichte, die sie gemeinsam mit ihm erleben wollte.
Vermutlich hatte er damals das Gleiche empfunden. Der erste Kuss mit sechzehn war ein Nervenkitzel gewesen, der den Meteoritenschauern Konkurrenz machte, zu deren Beobachtung Zeb sie ständig aufs Dach schleppte. Rumer wusste nicht mehr, wann es angefangen hatte, und sie hatte sich nicht vorstellen können, dass es jemals enden würde. Sie hatte sich auf ihn verlassen wie auf ein Uhrwerk.
Sie erinnerte sich an den Segeltörn nach Orient Point, den er mit einer Gruppe von Jungen unternommen hatte. Sie waren erst spät zurückgekehrt. Sein Vater sollte an diesem Abend von einem langen Flug nach Hause kommen und Zeb hätte das Gras mähen sollen. Rumer hatte den Rasenmäher herausgeholt und sich ans Werk gemacht. Später erzählte er ihr, er habe den Motor gehört, als er, die Segel hinaufschleppend, die Steinstufen erklomm, und sei den Hügel hinaufgelaufen, um Rumer mit einem salzigen Kuss zu begrüßen und bei der Arbeit abzulösen.
Geräusche, die ihre Freundschaft wie auf einer Tonspur begleiteten: der Rasenmäher, die flatternden Segel, der Wind in den Zweigen über ihren Köpfen, wenn sie die Sterne betrachteten. Sie hatte seine Liebe zum Himmel mit seinen Gestirnen gefördert, und er hatte sie angespornt, ihren Traum zu verwirklichen und Tierärztin zu werden, mit sanfter, liebevoller, heiterer Stimme.
Das alles war wie Musik, die längst verklungen war.
Versprechen hatte es keine gegeben; Zeb hatte ihr natürlich nie einen Heiratsantrag gemacht. Aber tief in ihrem Innern hatte sie sich immer vorgestellt, dass sie zusammen bleiben würden. Gab es nicht auch stillschweigende Versprechen? In ihren Augen gehörten sie zu den nachdrücklichsten.
Sie waren schließlich durch einen goldenen Faden miteinander verbunden. Es hatte keiner Worte bedurft. Versprechen, die mit verstohlenen Küssen einhergingen, mit zaghaften Berührungen, mit der Leidenschaft ihrer Herzen. Der unverhoffte Übergang von der Kinderfreundschaft zur Liebe war hart gewesen, aber sie hatten ihn geschafft. Ihre Beziehung hätte vermutlich immer alle Schwierigkeiten überdauert, ausgenommen die, sich in jemand anderen zu verlieben. Vor allem, wenn es sich bei der anderen
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