Sternstunde der Liebe (German Edition)
und Krebse?« Michael lächelte süßlich.
Das Mädchen griff blitzschnell in ihren Eimer mit den Ködern und bombardierte ihn, wie eine Ninja-Kriegerin brüllend, mit Fischköpfen. »Jaaaaaaaaaaah! Du vielleicht!«
»Du hast sie ja nicht alle!« Michael wischte sich die Fischeingeweide vom T-Shirt, während er zurückwich. »Und überhaupt, wieso bist du nicht in der Schule? Haben sie dich rausgeschmissen, weil du eine gemeingefährliche Irre bist? Himmelherrgott!«
»Ich bin nicht irre! « zischte sie; die Sonnenbrille rutschte ihr an der Nase herunter, als sie mit aller Kraft an der Anlasserschnur zog und der Motor aufheulte. Sie machte die Leinen los und warf Michael einen bösen Blick zu. »Und es heißt ›Bug‹ und ›Heck‹ und nicht ›vorne‹ und ›hinten‹«, fuhr sie fort. »Ich dachte, das wüsstest du, wo du doch so viel Zeit auf den Yachten von irgendwelchen Leuten verbringst.«
»Ich hasse Yachten.« Er sah zu, wie sie das Boot rückwärts ins Hafenbecken manövrierte, während V-förmiges Kielwasser die spiegelglatte Oberfläche riffelte; dann schaltete sie in den Vorwärtsgang, wendete und fuhr davon.
Michael sah, wie sie sich sorgfältig den Weg um die Insel herum bahnte, als nisteten dort immer noch Schwäne. Als sie unter dem Steg hindurchfuhr, rief sie ihm über die Schulter etwas zu; dann gab sie Vollgas und brauste davon, durch den schmalen Kanal, wie ein Pfauenrad weiße Gischt hinter sich aufwirbelnd, und ließ Michael in ihrem Kielwasser zurück.
Rumer hatte den Tisch mit dem Porzellan ihrer Mutter gedeckt und wünschte sich, Clarissa Larkin wäre da, um ihr beizustehen. Zeb und ihren Neffen zum Abendessen einzuladen, war ihr unglaublich schwer gefallen. Gestern Nacht, bei der zufälligen Begegnung mit Zeb, hatte sie das Gefühl gehabt, einem Herzanfall nahe zu sein. Sie hatte gemeint, sie sei für das Wiedersehen gerüstet, hatte sich von Kopf bis Fuß gestählt.
Doch als sie durch die Ligusterhecke gespäht hatte und ihn dort stehen sah, war das Eis in ihren Adern mit einem Mal geschmolzen. Eine vertraute, nicht zu leugnende Freude hatte sich ihrer bemächtigt – als ob sich jede Zelle ihres Körpers der alten Liebe entsann. Doch gleich darauf hatte ihr Verstand mit seinen Erinnerungen aus jüngerer Zeit wieder die Oberhand gewonnen, und sie war abermals zu Eis erstarrt, hatte ihr Herz zusätzlich gewappnet.
Auch die Wahl der Kleidung erwies sich als schwierig. Sie wollte schließlich einen guten Eindruck auf Michael machen. Zuerst zog sie ein hellblaues Kleid im Stil von Elizabeth an, dann probierte sie eine kaftanähnliche Robe, wie Winnie sie trug, und zum Schluss kehrte sie, sich selbst wegen ihres albernen Verhaltens verwünschend, zu dem zurück, was sie von Anfang an im Sinn gehabt hatte: Jeans und einen weißen Baumwollpullover.
Die Petit-point-Stickbilder ihrer Mutter hingen an der Wand. Sie stellten Szenen aus Hubbard’s Point dar: Schwäne auf der Insel, Mrs. Lightfoots Haus auf dem Kap, den Leuchtturm von Wickland Rock und den Zyklus, den Rumer als Kind am meisten geliebt hatte … von Elizabeth und ihr als »Einhorn-Wandteppiche« bezeichnet.
Clarissa Larkin hatte die Kap-Legenden in ihr Werk verwoben. An einigen dieser Bilder hatte sie bereits als blutjunges Mädchen zu arbeiten begonnen, als sie im selben Haus, ihrem Elternhaus, wohnte. Sie hatte, gemeinsam mit ihrer besten Freundin von nebenan – Leila Tournelle – in einer nebeligen Nacht ein Einhorn gesehen, als sie beide zehn waren. Schneeweiß, mit wehender Mähne und einem Horn, das wie Perlmutt schimmerte, hatte es zwischen den Azaleen und Wacholderbüschen gestanden und sie mit seinen sanften schwarzen Augen angeschaut.
Leila hatte später einen Piloten geheiratet – Jacob Mayhew. Clarissa hatte einen kleinen Handarbeitsladen neben der Congregational Church in Black Hall eröffnet. Er hieß Tapestry, nach den reich verzierten, magischen Einhorn-Wandbehängen im Cluny-Museum von Paris und Cloisters in New York.
Clarissa arbeitete tagsüber in ihrem Laden und stickte ihre eigenen Wandbehänge: Das Einhorn vom Kap führte Leila und sie zu einem verwunschenen Fleckchen Erde inmitten von Eichen, Stechpalmen, Kiefern und blühenden Birnbäumen, sein perlfarbenes Narwalhorn deutete in Richtung Leuchtturm. Die Kaninchen von Hubbard’s Point schmiegten sich unter die Azaleenbüsche. Die satten Farben – der dunkelblaue Himmel und das grüne Haus – schufen einen harmonischen
Weitere Kostenlose Bücher