Sternstunde der Liebe (German Edition)
Schwäne ihren Nistplatz hatten.
Er suchte die Insel mit den Augen ab, konnte aber keine Schwäne entdecken. Boote lagen mit dem Bug voran dicht an dicht in dem runden Hafenbecken, schaukelten mit der Dünung. Einige sahen prachtvoll aus: Fiberglas, Reling aus Chrom, riesige Motoren; andere erweckten den Anschein, als würden sie es kaum bis aufs Meer hinaus schaffen. Und in dem jämmerlichsten Wrack weit und breit – aus Holz, der reinste Seelenverkäufer – war das Mädchen, das er gestern gesehen hatte.
Sie trug wieder das gleiche Ölzeug. Ihre Augen waren hinter einer dunklen Sonnenbrille verborgen, und als sie einen Blick in seine Richtung warf, verdüsterte sich ihre Miene entsprechend. Hummerkörbe waren auf der Kaimauer übereinander gestapelt. Sie streckte die Arme aus und zog sie näher heran – es erforderte ziemlich viel Kraft, einen nach dem anderen herunterzuzerren und in ihrem Boot zu verstauen.
»Brauchst du Hilfe?« Michael trat näher.
»Nein danke. Du könntest dir ja die Hände schmutzig machen.«
Abrupt blieb er stehen. Was sollte das denn heißen? Er war jemand, der anzupacken verstand. Im letzten Frühjahr, als seine Mutter bei Dreharbeiten war, hatte er rund die Hälfte der Schindeln auf dem Dach des Pferdestalls erneuert. Er trug die Jeans, die er damals zum Arbeiten angehabt hatte: ausgeblichen, zerrissen, mit Teerflecken. Seine muskulösen Schultern drohten die Nähte seines alten Nine-InchNails -T-Shirts zu sprengen; ein rotes, nach hinten gebundenes Tuch hielt seine langen braunen Haare in Schach.
»Wo soll der hin?« Er hob einen der Körbe hoch – unvermutet schwer, mit Ziegelsteinen beschwert. »Nach vorne oder nach hinten?«
»Danke, lass nur«, erwiderte sie, seine Frage ignorierend. Sie nahm ihm den Korb aus der Hand und stellte ihn mit gekonntem Schwung hinten ins Boot. »Ich schaff das schon alleine.«
»Wie du meinst.« Er schüttelte den Kopf und lachte ironisch, wie er hoffte. Bildete sie sich vielleicht ein, er sei hinter ihr her, oder was? Wenn ja, konnte er nur sagen, träum weiter. Er hatte zu Hause Freundinnen mit jüngeren Brüdern gehabt, die tausendmal hübscher als sie waren. Als er sich zum Gehen anschickte, merkte er, dass ihn die ganze Sache ärgerte. »Was ist?« Sie hievte den nächsten Korb an Bord. »Hast du ein Problem?«
»Nur mit deinem Aussehen.«
Ihm fiel die Kinnlade herunter – er konnte nicht anders. Unwillkürlich tastete er nach seinen Haaren. Er war das Ebenbild seiner Mutter, die als eine der schönsten Frauen in Hollywood galt. Er wäre nie auf die Idee gekommen, dass sein äußeres Erscheinungsbild Teil seines Problems sein könnte. »Meinem was?«
»Deinem … Aussehen«, wiederholte sie langsam, Wort für Wort, als wäre er nicht nur abgrundtief hässlich, sondern auch schwer von Begriff.
»Was ist damit?« Seine Wut wuchs.
»Denk mal drüber nach. Hier taucht man nicht wie der Blitz aus heiterem Himmel in einem Range Rover auf – die Geschwindigkeitsbegrenzung in Hubbard’s Point ist fünfzehn Meilen, falls du es nicht weißt – und läuft dann wie ein Hippiejunge aus dem Jahre neunzehnhundertsechzig-und-noch-was herum. Das ist unglaublich bescheuert.«
»Was geht dich das an, zum Teufel?«
»Ich lebe hier.«
Michael stand auf der Kaimauer, sprachlos und unfähig, sich von der Stelle zu rühren. Er war völlig entgeistert angesichts ihrer Unhöflichkeit, obwohl ihm mindestens fünfzig schlagfertige Antworten auf der Zunge lagen.
»Ich habe ein Recht, hier zu sein«, sagte er schließlich.
»Hier geht es nicht um Rechte, du reiches Muttersöhnchen. Sondern um Gerechtigkeit.«
»Eine verquere Logik, die musst du mir schon näher erklären. Sicher ist sie faszinierend.«
»Dein Vater und du habt Winnies kleines Gästehaus gemietet, oder?«
»Leider.«
»Aha, dachte ich mir’s doch! Du bist nicht einmal gerne hier! Was hat ein Range-Rover-Typ in Hubbard’s Point zu suchen? Vor allem in Winnies Cottage? Du bist doch an hochherrschaftliche Anwesen gewöhnt, oder? In Malibu, oder was bei den Reichen und Schönen gerade hoch im Kurs steht.«
»Malibu.«
»Dann hättet ihr euch eine Bleibe in Fenwick suchen sollen, am anderen Flussufer. Dort gibt es protzige Häuser und Millionäre – sogar einen Filmstar. Dann wäre Winnies Cottage frei geblieben, für eine Familie, die sich dort rundum wohl fühlt. Mit Kindern, die Sand und Felsen und Krebse mögen.«
»Sind wir nicht ein bisschen zu alt für Sand und Felsen
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