Sternstunde der Liebe (German Edition)
Handschlag aus, aber Rumer brachte es nicht übers Herz, Michael loszulassen. Sie hakte sich bei ihm unter und ging mit ihm, an den leeren Käfigen im Windfang vorbei, in die Küche. Zeb und Sixtus begrüßten sich argwöhnisch; Rumer erinnerte sich noch lebhaft an ihre letzte Begegnung.
Das war mehr als ein Jahrzehnt her, bei der Beerdigung ihrer Mutter. Seither war ihr Vater merklich gealtert: Als würde sie ihn durch Zebs Augen sehen, bemerkte sie plötzlich sein schlohweißes Haar, seine gebeugte Haltung, sein runzeliges Gesicht.
Sie musterte Zeb verstohlen; auch er war älter geworden. Hochgewachsen und noch genauso schlank wie früher, wirkte sein Körper in Jeans und Brooks-Brothers-Hemd hart und muskulös wie der eines jungen Mannes. Er hatte Sonnenfältchen um die Augen und auf der Stirn und die ersten grauen Haare an den Schläfen. Sein Blick war jedoch derselbe wie früher, als er noch der Junge von nebenan war. Rumer konnte die Augen nicht von ihm abwenden.
Zebs Augen waren so blau wie das Meer und der Himmel, klar und völlig ungetrübt. Als hätten sie alle Wunder des Universums erblickt und wüssten, wo sie sich verbargen. Den Gedanken beiseite schiebend, öffnete sie den Kühlschrank und holte Eistee, Sprudel und Bier zur Auswahl heraus.
»Du kennst ja den Weg, Michael«, sagte Sixtus barsch. Seine Arthritis machte ihm heute wieder zu schaffen; er umklammerte den Krückstock mit seiner klauenähnlichen Hand, sein Rücken so gekrümmt wie sein Stock. »Geh voraus, auf die Veranda.«
»Es gibt nur eine Tür …«, sagte er und sah sich um; Rumer konnte nicht umhin zu lächeln, weil ihr Vater dem Jungen das Gefühl vermittelte, zu Hause zu sein, und sie beobachtete, wie Michael das Wohnzimmer durchquerte und auf die mit Fliegengitter eingefasste Veranda hinaustrat.
Während Michael das Fernglas nahm und den Strand abzusuchen begann, stellte Rumer Käse und Cracker, Krabben und Krebse auf den Tisch. Sie unterhielten sich über unverfängliche Themen: das Kap, über Winnie, die sich keinen Deut verändert hatte, über Dana und Sam und wie sie sich kennen gelernt hatten, über den Nachhilfeunterricht in Mathematik, den Sixtus erteilte, um seine Rente aufzubessern, über das Wetter, Zebs neues Labor.
»Ein Labor?«, fragte Sixtus. »Du meinst, Forschung vom Erdboden aus?«
»Ja. Astronauten können nicht aus ihrer Haut heraus; nur landen sie, wenn sie in die Jahre kommen, in Forschungszentren und betrachten Bilder von den Gestirnen.«
»Statt selbst hinzufliegen?«, meldete sich Rumer zu Wort.
»Den Tag möchte ich erleben«, schnaubte Michael geringschätzig.
»Das neue Observatorium ist wirklich fantastisch. Uns steht ein großzügiges Budget und das beste Teleskop auf der Welt zur Verfügung … damit kann ich den nächsten großen Meteoritenschauer voraussagen. Wenn ihr online geht und irgendein Neunmalkluger euch sagt, ihr sollt den Wecker auf drei Uhr morgens stellen, weil ihr um die Zeit zwanzig Sternschnuppen in der Minute zu sehen bekommt, bin ich das.«
»Keine Missionen mehr ins All?«, hakte Rumer nach.
Zeb schien sie nicht gehört zu haben und langte über den Tisch nach den Krabben. Sein Tonfall war scherzhaft, aber seine hellblauen Augen blickten ernst – keine Spur von einem Lachen war darin. Rumer spürte, dass er nicht mehr darüber reden wollte, und so wandte sie ihre Aufmerksamkeit, leicht beklommen, Michael zu.
»Michael, dein Dad meinte, dass du dich bei deinem Spaziergang an das eine oder andere erinnert hast.«
»Ja.« Er lächelte. »Du hast mich in einem Boot mitgenommen. Zu den Schwänen, auf irgendeiner Insel.«
»Die dort gerade ihr Nest bauten. Du erinnerst dich also. Was ist mit Blue … kannst du dich noch an Blue erinnern?«
»Blue …« Michael überlegte.
»Wie geht es Zee?«, fragte Sixtus, und zum ersten Mal an diesem Abend trat ein unbehagliches Schweigen ein.
»Mom geht es prima«, antwortete Michael. »Sie dreht gerade einen Film in Toronto.«
»Ich weiß. Aber sie sollte bald nach Hause zurückkommen, wenn sie weiß, was gut für sie ist«, erklärte Sixtus, und Michael lachte.
»Sei lieber vorsichtig mit dem, was du sagst, Dad – schließlich ist sie Michaels Mutter«, warf Rumer ein.
»Ja, aber sie war schon meine Tochter, lange bevor sie seine Mutter wurde. Du weißt, woher ihr Spitzname stammt, Zee?«
»In Kalifornien nennt niemand sie so«, erwiderte Michael.
»Ja, aber das hier ist Connecticut. Sie wurde auf den Namen Elisabeth
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