Sternstunde der Liebe (German Edition)
trotzdem. Den Menschen, die wir lieben, müssen wir einiges nachsehen, weißt du.«
Michael schwieg, dachte darüber nach. Er hatte bisher nur die gegenteilige Erfahrung gemacht: Wenn bei ihm zu Hause jemand etwas vermasselte, machte er sich entweder aus dem Staub oder wurde mit Nichtbeachtung gestraft.
»Warum ist sie immer so schlecht gelaunt?«, fragte Michael, um das Thema zu wechseln.
»Nun, das ist kompliziert. Aber sie hat ihre Eltern bei einem Schiffsunglück verloren, direkt dort draußen –« Er deutete auf den Sund, der hinter dem Strand begann. »Ist schon ein paar Jahre her. Es dauert, bis so etwas heilt. Man kommt nie ganz darüber hinweg, aber es gibt viele Menschen, die sie lieben und dabei unterstützen, mit der Tragödie fertig zu werden.«
Michael nickte. Er fühlte sich leer, ohne zu wissen warum.
»Nur gut, dass der Sommer gerade erst begonnen hat«, sagte sein Großvater. »Gut für dich und gut für mich.«
»Hast du Pläne?«, fragte Michael, aber sein Großvater zuckte nur lächelnd die Achseln.
Michael nickte. Er dachte an Blue und an Quinn. Er dachte an seine Mutter und fragte sich, warum sie nie hierher kam. Und er dachte an seine Tante, die allein in der Küche stand und das Abendessen zubereitete, und an seinen Vater … warum war sein Vater nicht in der Küche und unterhielt sich mit ihr?
Als Michael zum Rand der terrassierten Rasenfläche gegangen war und zum Strand hinuntergeblickt hatte, hatte er nämlich seinen Vater allein im Wohnzimmer stehen und aus dem Fenster schauen sehen – nicht zum Himmel empor, wie sonst, sondern zu dem dunkelgrünen Haus nebenan.
Der Wind frischte mit jeder Minute auf, und aufgetürmte Nebelwolken zogen von Osten heran, verdeckten die Sicht auf die Berge. Kaninchen suchten hastig einen Unterschlupf, verbargen sich in den Spalten des massiven grauen Felsgesteins. Ein Schatten löste sich, verschwand in den Bäumen. Michael schauderte und sah zu den Booten hinab: Quinn war auf die Kaimauer geklettert, eilte nach Hause.
Obwohl das Wetter rasch umschlug und alles auf rätselhafte Weise aus den Fugen geriet, war Michael froh – genauer gesagt, unglaublich erleichtert –, dass sie trotz ihrer ungehörigen Art vom Meer zurückgekehrt war, heil und gesund.
7
A m Morgen der Hochzeit goss es in Strömen. Quinn fluchte misslaunig. Den Hummern war das Wetter egal; sie mussten fressen und kamen an die Oberfläche, zu den Ködern in den Körben, gleich ob bei Regen, Schnee oder Sonnenschein. Doch um Tante Dana und Sam tat es ihr Leid. Sie hatte sich einen perfekten Tag für die beiden gewünscht.
Sie war morgens um halb sechs Uhr aufs Meer hinausgefahren, noch vor Sonnenaufgang, um ein letztes Mal nach ihren Körben zu sehen. Über die zinngrauen Wellen stampfend, war sie mit dem Boot von Boje zu Boje gefahren, hatte die Leinen eingeholt und die Körbe geöffnet, während der Regen in ihre Augen drang. Sie hatte ihr Lineal aus der Schule bei dreieinviertel Inches markiert, um die Schalen der Hummer zu messen und sich zu vergewissern, dass sie die vorgeschriebene Mindestgröße besaßen. Sie warf die kleineren und die Weibchen, die Eier trugen, ins Meer zurück. Dennoch belief sich ihre Ausbeute allein bei diesem Kontrollgang auf sage und schreibe zwölf Stück.
Auf dem Rückweg drehte sie mit dem Boot nach links ab, in Richtung Wickland Shoal. Quinns Herz war weit offen an diesem Hochzeitsmorgen, und es gab Menschen, denen sie einen Besuch abstatten musste. Als Erstes nahm sie Kurs auf den Leuchtturm, in dem Elizabeth und Clarissa Randall vor langer Zeit gewohnt hatten. Sie konnte sich in das Mädchen hineinversetzen, das in jungen Jahren die Mutter verloren hatte, aber sie fühlte sich auch der Frau verbunden, die alles aufgegeben hatte, auf der Suche nach einem Abenteuer.
»Das heißt nicht, dass sie dich nicht geliebt hat«, sagte Quinn laut, an den Geist der ersten Clarissa gewandt. »Das weißt du, oder?« Und als sie zu der Stelle kam, an der Joe Connor – Sams berühmter Bruder, der Schatzsucher – vor einigen Jahren die Cambria geborgen hatte, neigte Quinn den Kopf, verbeugte sich vor der Liebe von Elizabeth Randall und Nathaniel Thorn und betete, dass die Beziehung zwischen ihrer Tante und Sam genauso innig sein möge, nur glücklicher und dauerhafter.
Während ein grauer, verregneter Morgen von Block Island im Westen heraufdämmerte, erschienen ihr die Leuchttürme weniger hell. Quinn blickte zum Himmel empor, hätte gerne einen
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