Sternstunde der Liebe (German Edition)
würde.«
»Aber warum hast du mir nichts davon erzählt? Ich freue mich doch für dich, Dad.«
»Weil ich segeln werde, Rumer.«
Sie war völlig durcheinander. Sie vernahm die Worte aus dem Mund ihres Vaters, doch sie konnte sich keinen Reim darauf machen. Meinte er, auf einem Ozeanriesen? Plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen.
Er sprach von seinem Boot. Als sie auf die Flussmündung und den angrenzenden Sund blickte, erspähte sie mehrere Segel am Horizont.
Sie sah wieder das Boot hinter der Garage am Fuß des Hügels vor sich. Die Clarissa thronte stolz auf ihrem Lagerblock, eine prachtvolle Schaluppe aus einer anderen Zeit, die blanken Teile glänzend in der Spätnachmittagssonne. Ihr Rumpf war strahlend weiß, das Deck blitzblank geschrubbt. Am Morgen hatte Rumer eine Sperlingsfamilie auf dem hölzernen Spier entdeckt, laut zwitschernd. Die Yacht war schnittig, unverwüstlich, im Lauf der letzten Jahre von ihrem Vater liebevoll in Stand gehalten worden – trotz seiner Arthritis, die ihn von Tag zu Tag mehr in seiner Bewegungsfähigkeit beeinträchtigte.
»Du willst ganz alleine segeln?«
»Ja, Rumer.«
»Von hier nach Nova Scotia und im Anschluss nach Irland … Dad, das ist der Nordatlantik! Die Stürme da draußen können mörderisch sein – die Wellen haushoch …«
»Mein Boot ist robust. Eine Herreshoff.«
»Aber deine Arthritis! Du hast große Schmerzen, Dad. Wie willst du das bewerkstelligen? Wie willst du es schaffen – wenn du im Notfall blitzschnell reagieren musst?«
»Das ist vielleicht meine letzte Chance. Ich habe gründlich darüber nachgedacht, Liebes. Ich will nicht sterben, ohne den Atlantik überquert zu haben.«
»Dann segle wenigstens nicht alleine.« Sie ergriff seine Hand. »Du könntest ein größeres Schiff chartern, mitsamt Skipper. Bitte, Dad.«
»Die Clarissa ist groß genug, Liebes. Ich bin schließlich nicht der Erste, der den Atlantik in einer New York 30 überquert.«
»Dann nimm wenigstens jemanden mit.«
»Das ist mein Traum; den verwirkliche ich alleine«, sagte ihr Vater und sah ihr lächelnd in die Augen. Er langte über den Sitz, ergriff ihre Hand und drückte sie kurz, bevor er ihr seine knorrige Hand sanft entzog, als habe er bereits begonnen, Abschied zu nehmen.
»Dein Traum«, flüsterte sie.
»Wenn ich gehe und meinem Traum folge, bleibst du vielleicht hier und findest deinen.«
»Ich lebe meinen Traum. Hier in unserem Haus, mit dir, mit meiner Arbeit …«
»Das ist nicht genug. Sich um einen alten Mann kümmern, auf dein eigenes Leben verzichten, es für meines zu opfern … das lasse ich nicht zu. Nein, Rumer: Du hast das Leben noch vor dir, mach etwas daraus, etwas wirklich Wunderbares, für dich allein.«
»Ich habe alles, was ich brauche, Dad.« Rumer sah, wie die Sommerhitze über den grünen Binsen und dem blauen Wasser der Flussmündung flirrte. »Das weißt du. Bleib.«
»Manchmal muss ein Mensch dorthin zurück, wo er hergekommen ist, um herauszufinden, wohin sein Weg führt. Das Leben ist nicht statisch – auch wenn uns das Heute noch so sehr gefällt, das Morgen steht bereits vor der Tür. Begreifst du, was ich meine?«
Rumer zuckte die Achseln, aber tief in ihrem Inneren verstand sie. War Zeb deshalb nach Hubbard’s Point zurückgekehrt? Um Rückschau zu halten und sich dadurch Klarheit über die nächsten Schritte in seinem Leben zu verschaffen?
Rumer schüttelte den Kopf; es spielte keine Rolle. Was Zeb tat, ging sie nichts an. Doch das Wissen, dass ihr Vater drauf und dran war, sich auf eine so gefährliche Reise zu begeben, erfüllte sie mit Sorge. Er war immer ein Fels in der Brandung gewesen; sie konnte sich nicht vorstellen, was sie ohne ihn anfangen sollte.
»Du packst das schon, Rumer«, sagte er ruhig.
»Das weiß ich, Dad. Ich hoffe nur, dass du –«
»Deine Mutter ist bei mir«, sagte er entschieden. »In meinen Gedanken, in meinem Herzen. Sie wird sich um mich kümmern. Und du hast …«
»Edward.«
»Kein Kommentar.«
»Gut.«
Sie dachte an die Farm, an den Geruch nach Erde und Vieh, an Edwards warme braune Augen und wie sich seine Arme um ihre Schultern angefühlt hatten. Dennoch empfand sie eine innere Leere bei dem Gedanken an die Abreise ihres Vaters.
»Bist du heute zum Abendessen zu Hause?«, fragte er.
»Wahrscheinlich. Aber ich denke, ich werde vorher kurz zur Farm rausfahren. Blue reiten, mit Edward plaudern, ein paar Blumen am Weg vor dem Haus pflanzen …« Mit den
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