Sterntagebücher
schon längst entfernen sollen, denn er war ein durch und durch brutales Individuum, und auch sein Äußeres war abstoßend – er ähnelte mit seinen tiefsitzenden Äuglein und dem schweren Kiefer einem Gorilla –, aber ich befürchtete, man könnte mich einer persönlichen Abneigung bezichtigen. Nun aber verbannte ich ihn, und das für alle Fälle ziemlich weit zurück – um 65000 Jahre. Er wurde ein Höhlen-Casanova und zeugte die Neandertaler.
Erhobenen Hauptes ging ich zur Sitzung, ich fühlte mich in keiner Weise schuldig. Die Sitzung dauerte zehn Stunden; ich bekam eine Unmenge Anklagen zu hören. Man warf mir Willkür vor, Gängelung der Gelehrten, Geringschätzung der Expertenmeinungen, das Favorisieren Griechenlands, den Untergang Roms, die Sache mit Caesar (auch das war eine Verleumdung: ich hatte nirgendwohin einen Brutus geschickt), die Affäre mit Reichplatz, das heißt mit dem Kardinal Richelieu, den Mißbrauch im Referat der MOIRA und der geheimen Chronizei, die Päpste und Antipäpste und so weiter. (Im Grunde hatte Betterpart die »Finsternis des Mittelalters« hervorgerufen, der nach seiner geliebten Regel von der »starken Hand« zwischen das 8. und 13. Jahrhundert so viele Vertrauensleute eingeschleust hatte, daß es zu einer Bevormundung und zum Untergang der Kultur kam.)
Die Lektüre des in siebentausend Paragraphen formulierten Anklageaktes war im Grunde eine öffentliche Lesung in einem Geschichtsbuch. Was bekam ich nicht alles zu hören: wegen des A. Donnai, wegen des feurigen Strauches, wegen Sodom und Gomorra, wegen der Wikinger, wegen der Räder der kleinasiatischen Kampfwagen, wegen des Fehlens von Rädern und Wagen in Südamerika, wegen der Kreuzzüge, wegen der Niedermetzelung der Albigenser, wegen Berthold Schwarz und seines Pulvers (wohin sollte ich ihn verbannen, ins Altertum, damit man sich schon dort kartätschte?) – und so weiter, immer weiter, ohne Ende. Nichts wollte jetzt dem ehrenwerten Rat mehr gefallen, weder die Reformation noch die Gegenreformation, und diejenigen, die mich vorher mit eben diesen Projekten bestürmt und mich ihrer rettenden Wirkung versichert hatten (Rosenbeißer hatte mich fast auf Knien um die Erlaubnis für die Reformation gebeten), saßen jetzt da und taten, als verstünden sie kein Sterbenswörtlein von alledem.
Als man mir das letzte Wort erteilte, erklärte ich, daß ich mich überhaupt nicht zu verteidigen gedenke, die künftige Geschichte würde ihr Urteil über uns fällen. Ich erlaubte mir allerdings, ich gebe es zu, gegen Ende meiner Rede eine spöttische Bemerkung. Ich sagte nämlich, der einzige Fortschritt, also das einzig Gute, das die Geschichte nach den Arbeiten des Projekts aufweise, sei ausschließlich mein Verdienst. Es handele sich da nämlich um die positiven Folgen der massenhaften Verbannungen, die ich verfügt hatte. Mir verdanke die Menschheit Homer, Plato, Aristoteles, Boskovic, Leonardo da Vinci, Bosch, Spinoza und ungezählte anonyme Persönlichkeiten, die ihr schöpferisches Bemühen in den Jahrhunderten unterstützt haben. Wie schlimm auch das Schicksal der Verbannten gewesen sein mag, sie hatten es verdient, und gleichzeitig sühnten sie durch mich ihre Schuld vor der Geschichte, denn sie unterstützten sie nach Kräften – aber erst nach der Entfernung aus ihren hohen Stellungen im Projekt! Wer dagegen nachprüfen wollte, was parallel dazu die Fachleute des Projekts ge tan haben, der mag auf den Mars, den Jupiter, die Venus, auf den massakrierten Mond schauen oder sich das Grab der Atlantis auf dem Grunde des Atlantischen Ozeans ansehen, er mag die Opfer der beiden großen Eiszeiten, der Plagen und Epidemien, der Pest, der Kriege, der religiösen Fanatismen zählen – mit einem Wort, er soll sich die allgemeine Geschichte einmal näher betrachten, die nach der »Verbesserung« ein einziges Schlachtfeld der Meliorationspläne sei, auf dem Chaos und Verwüstung herrsche. Die Geschichte ist das Opfer des Instituts, der darin herrschenden Atmosphäre des Intrigantentums, der Unordnung, des Improvisierens, des ständigen Ränkespiels und fortwährender Inkompetenzen, und wenn das von mir abhinge, hätte ich all die Herren Geschichtstäter dorthin geschickt, wo die Brontosaurier überwintern.
Ich brauche wohl nicht zu erklären, daß meine Worte ziemlich sauer aufgenommen wurden. Obwohl dies das letzte Wort sein sollte, hatten sich noch ein paar würdige Zeitingerenten zu Wort gemeldet, so zum Beispiel
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