Sterntaler: Thriller (German Edition)
über das Verschwinden des Jungen gedacht hatte. »Thea hat nur selten über ihre Beziehung zu ihm gesprochen, aber ich habe es doch so aufgefasst, als hätten sie häufig gestritten. Er hat sich gefragt, was mit seinem Vater war, und er erwies ihr nicht den Respekt, den sie sich wünschte.«
Die Worte liefen sich fest, und es war heute schwerer, sie auszusprechen, als damals.
»Okay, sie haben gestritten«, sagte Cecilia Torsson, »und?«
»Ich glaube, dass er von zu Hause abgehauen ist. Das habe ich schon immer gedacht. Er war ein verdammt unternehmungslustiger Junge.«
»Sie glauben, dass er abgehauen und dass ihm dann ein Unglück zugestoßen ist und er deshalb nie gefunden wurde?«
»Nein«, sagte Spencer. »Ich glaube, dass er in der Absicht abgehauen ist, nicht wiederzukommen. Und ich glaube, dass er immer noch lebt.«
52
ES WIMMELTE VON POLIZISTEN . Thea Aldrin saß voller Entsetzen in ihrem Zimmer und beobachtete sie von ihrem Fenster aus.
Wie hatte es bloß wieder geschehen können?
Wie konnten Ereignisse aus den Sechzigerjahren immer noch Opfer fordern? Denn Thea bezweifelte nicht, welches Schicksal den Jungen, der in dem Beet gestanden hatte, ereilt hatte. Und sie war nicht imstande gewesen, es zu verhindern.
Der Junge … Eigentlich war es ein Mann gewesen, aber man hatte gleich sehen können, dass bei ihm nicht alles so war, wie es sein sollte. Seine Augen würden Thea für den Rest ihres Lebens verfolgen. Diese groteske Mischung aus Flehen und Unverständnis, die ihr fast den Atem raubte.
Es hatte einmal eine Zeit gegeben, da hatte sie gedacht, dass sie ein reiches und glückliches Leben führen würde. Eine Zeit, in der Manfred und sie frisch verliebt gewesen waren, als sie ihr Zusammenleben zu einer politischen Aussage gemacht und sich geweigert hatten zu heiraten, obwohl sie schwanger war. Sie hatte nie das Gefühl gehabt, dass es Manfred schwergefallen war, mit ihrem Erfolg umzugehen. Er hatte sie vielmehr überzeugend und in aller Öffentlichkeit gelobt und gefördert.
Doch nichts von all dem, was sie für selbstverständlich erachtet hatte, hatte der Wahrheit entsprochen, und nichts von all dem, was ihr heilig gewesen war, war unberührt geblieben. Sie konnte immer noch spüren, wie sie sich vor Angst auf die Zunge biss, als die Bilder auf der Filmleinwand vorbeiflatterten. Und die Ohnmacht, die folgte, als sie ihn zur Rede stellte.
»Verdammt noch mal, der ist doch nicht echt!«, hatte er gebrüllt.
Das war für Thea nur von untergeordneter Bedeutung gewesen. Sie wollte nicht in der Nähe eines Mannes leben, der diese Art von Bedürfnissen hatte. Und noch weniger wollte sie ihn in der Nähe ihres ungeborenen Kindes haben.
Die Tatsache, dass er so leicht zu vertreiben war, hatte sie immer als Beweis dafür genommen, dass der Film sehr wohl echt war. Dass darin wirklich ein Mord begangen wurde. Im Gartenhaus ihrer Eltern, das sie unzählige Male aufgesucht hatte und wo sie mit einem Kloß der Angst im Hals versucht hatte, Beweise dafür zu finden, was dort geschehen sein musste. Ohne jedoch einen einzigen zu finden. Und doch wusste sie, dass sie dort gewesen waren und alles zerstört hatten. Manfred und ein Unbekannter, der die Kamera hielt. Ein Unbekannter, von dem sie erst viele Jahre später erfahren sollte, um wen es sich handelte.
Wenn sie an dem Abend, als er auszog, nur nicht den Film abgegeben hätte. Das war der Preis, den sie bezahlen musste. Manfred hatte sich geweigert, ohne den Film zu gehen. »Ich traue dir nicht«, hatte er gesagt. »Wenn du krank genug bist zu glauben, dass der Film echt ist, dann weiß ich nicht, was ich noch von dir halten soll.«
Also hatte sie ihm den Film gegeben und angenommen, dass sie ihn zum letzten Mal sah. Womöglich hätte sie wissen müssen, wie grotesk falsch sie die Situation einschätzte. Alle Ereignisse, die danach eintrafen, waren ohne Zweifel eine Folge dieser ersten Katastrophe. Wenn sie geahnt hätte, wie schlimm es kommen würde, hätte sie sich schon vor langer Zeit anders verhalten.
Nun da sie in selbst gewähltem Schweigen und Einsamkeit in ihrem Zimmer saß, gab es unendlich viele Dinge, die ihr Angst machten. Am meisten trieb sie um, ob jemand gehört hatte, was am Abend zuvor in ihrem Zimmer geschehen war. Hatte jemand den Jungen verschwinden sehen? Und fast noch wichtiger: Hatte jemand sie sprechen hören?
53
FÜR RUHE ODER ERHOLUNG WAR keine Zeit. Peder Rydh beschloss, nicht nach Hause zu fahren und zu schlafen, wie
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