Sterntaler: Thriller (German Edition)
auch die anderen nachts wach hielt.
»Ich habe ihn nie geliebt.«
Alex hörte das mit Erstaunen. »Nicht?«
»Nein«, sagte Diana. »Nicht richtig. Nicht so, wie du deine Frau geliebt hast.«
Alex wand sich. »Die Liebe ist nun mal nicht für alle gleich. Wir alle suchen nach unterschiedlichen Dingen, unsere Bedürfnisse sind verschieden.«
Diana lächelte ihn an. »Was sind deine Bedürfnisse?«
»Darf man das fragen?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Warum nicht?«
Weil es dem, den man fragt, peinlich sein könnte, wollte Alex antworten. Laut sagte er jedoch: »Meine Bedürfnisse sind ganz einfach. Ich hasse es, einsam zu sein. Ich mag es, jemanden zu haben, mit dem ich zusammenleben kann.«
Würde er das jemals wieder haben? Welche andere Frau konnte nach all den guten Jahren, die er mit Lena verbracht hatte eine Chance bei ihm haben?
Seine Kinder hatten ihn gewarnt und gesagt, dass er seine Ehe mit Lena nicht zum Maßstab für kommende Beziehungen machen dürfe. Sie hatten davon gesprochen, als ob es vollkommen natürlich wäre, dass er eine neue Frau kennenlernte. »Du bist noch nicht mal sechzig, Papa.«
Schon der bloße Gedanke machte Alex Angst und verursachte ihm ein Beklemmungsgefühl, sodass ihm das Atmen schwerfiel. Er hatte keine Ahnung, wie man sich einer Frau näherte. Seit über dreißig Jahren hatte er niemandem mehr Avancen gemacht.
Diana Trolle stellte ihr Weinglas auf den Couchtisch. Sie ruhte auf dem Sofa und hatte es sich mit Kissen unter dem einen Arm gemütlich gemacht. Erschöpfung lag wie ein Schleier über ihrem Gesicht, und unter der Haut lauerte wie teuflisches Ungeziefer die Trauer.
Seit er vorbeigekommen war, hatte sie einmal geweint, und da hatte er seinen Besuch kurz bereut. Was zum Teufel hatte er sich dabei gedacht, an einem Freitagabend zu der trauernden Angehörigen eines Verbrechensopfers zu fahren?
Doch dann war die Ruhe gekommen. Es war ein guter Entschluss gewesen, Diana zu besuchen. Sie hatten viel, worüber sie reden konnten. Unerwartet viele gemeinsame Nenner. Vor allem teilten sie die Erfahrung, einen nahestehenden Menschen verloren zu haben, ohne den sie meinten nicht leben zu können. »Und doch leben wir. Ist das nicht seltsam?«, hatte sie gesagt.
Ja, sie lebten. Stunde um Stunde, Tag für Tag. Ihr fehlte ihre Tochter schon seit mehr als zwei Jahren. Und auch wenn niemand ihr je hatte Gewissheit geben können, hatte sie doch gewusst, dass sie auf immer fort war.
Alex musste erkennen, dass es ein Vorteil gewesen war, dabei sein zu können, als seine Frau starb.
»Du warst da«, sagte Diana, »die ganze Zeit. Betrachte es als ein Geschenk.«
Jedem anderen, der das gesagt hätte, hätte er wohl Prügel angedroht. Doch Diana gegenüber konnte er sich nicht erwehren und musste vielmehr zugeben, dass es so war, wie sie sagte. Die Trauer eines anderen Menschen konnte seine eigene nicht verringern, trotzdem konnte er sehen, dass die Hölle unterschiedliche Ausprägungen bereithielt.
Es ging auf halb zwei zu. »Jetzt sollte ich wirklich gehen.«
»Ich denke, du solltest bleiben.«
Er hielt inne, spürte ihre Worte von seiner Brust abprallen und im leeren Nichts verschwinden. »Nein, nein. Es ist besser, wenn ich gehe.« Doch er stand nicht auf, konnte es nicht über sich bringen, sich aus dem Sessel zu erheben. »Ich werde morgen ein paar Stunden arbeiten. Du weißt, dass du mich immer anrufen kannst, wenn dir etwas in den Sinn kommt.«
Sie nickte. »Es ist, wie ich die ganze Zeit gesagt habe, Alex. Ich erinnere mich an nichts.«
»Weil du es zu sehr versuchst.«
Ihre Hand ballte sich, und sie drückte sie an die Stirn. »Ein paar Tage bevor sie verschwand, haben wir gestritten.«
»Ich erinnere mich. Eine Zeit lang haben wir geglaubt, euer Streit wäre der Anlass für sie gewesen zu verschwinden, weil sie sich an dir rächen wollte.«
Diana schloss die Augen. Als ob der Schmerz die Lider zusammenzöge. »Ich habe einfach nicht kapiert, was los war. Sie war nicht sie selbst. Hat geschrien und geschimpft, hat Türen geknallt, als wäre sie wieder vierzehn.« Sie schlug die Augen wieder auf. »Sie hat gesagt, sie würde mich hassen. Tags darauf hat sie angerufen und sich entschuldigt. Aber wir haben uns nie wiedergesehen.« Sie musste wieder weinen, doch diesmal tat sie nichts, um es einzudämmen.
»Du konntest ja nicht wissen, dass ihr euch zum letzten Mal sehen würdet«, sagte Alex.
»Das weiß ich doch. Aber das ändert nichts. Es tut so furchtbar
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