Sterntaler: Thriller (German Edition)
Wochenendausflug schien auf einmal unendlich weit zurückzuliegen. Außerdem war ihm die Freude an der Angeltour durch Torbjörns ausufernde Beschreibung von Thea Aldrins Fall im Nachhinein getrübt worden. Dass er immer noch eine über siebzig Jahre alte Dame besuchte und darauf harrte, dass sie den Mord an ihrem eigenen Sohn gestand, konnte doch nicht den Regeln entsprechen!
Er stand auf und ging mit festem Schritt zu Ellen Lind hinüber. »Hast du eine Liste mit Angehörigen von Håkan Nilsson, mit denen wir Kontakt aufnehmen könnten?«
»Hier.« Sie reichte ihm eine Liste mit Namen, die Alex an einer Hand abzählen konnte.
»Machst du Witze?«
»Der Vater ist tot, ebenso die Großeltern auf beiden Seiten. Er hat keine weiteren Angehörigen als eine Mutter, eine Tante und zwei Cousins.«
Die Liste war einfach zu traurig, als dass man sie kommentieren wollte. Wie konnte ein junger Mensch so wenige nahe Angehörige haben?
»Ich habe bei der Uni angerufen und nach Håkan Nilssons Studienfächern gefragt.«
»Und?«
»Das Mädchen, das mit ihrer Mutter hier war und zu der Pornoseite verhört wurde, hat doch erzählt, er habe die Seite gefunden, als er eine Seminararbeit über das neue Prostitutionsrecht schrieb.«
»Stimmt«, sagte Alex.
»Sie hat gelogen. Oder Håkan hat gelogen.«
Alex sah sie an. »Inwiefern?«
»Na ja, wahrscheinlich hat er gelogen. Er hat nie eine solche Arbeit geschrieben. Er hat sein Studium ein Jahr vor dem Examen abgebrochen.«
»Er hat nie Examen gemacht?«
»Nein.«
Wie war das nur möglich? Wie konnte ein Typ, der seit Tag eins im Zentrum der Ermittlungen gestanden hatte, sie immer noch überraschen? Wieder und wieder? Und trotzdem nicht der Schuldige sein?
Mit dem Gefühl, dass ihr die Zeit davonlief, arbeitete sich Fredrika weiter durch die Aufzeichnungen und Recherchemitschriften, die Rebecca Trolle für ihre Seminararbeit zusammengestellt hatte. Ohne eine Kopie ebendieser Arbeit, auf die sie sich beziehen könnte, fiel es ihr schwer, die Zusammenhänge zu begreifen, und sie hoffte inständig, dass die Techniker ihr das Material, das sie so dringend benötigte, noch vor Feierabend würden geben können.
Nachdem 1976 jene Skandalbücher publiziert worden waren, hatte Thea Aldrins Leben nie mehr zur Normalität zurückgefunden. Überall gab es Andeutungen und Anschuldigungen, und obwohl niemand auch nur irgendetwas mit Sicherheit sagen konnte, wurde es in der Öffentlichkeit doch zur Gewissheit: Thea Aldrin war es scheinbar gewesen, die diese widerlichen Bücher geschrieben hatte. Ein letzter Beweis dafür, was für eine gestörte Person sie war. Die Bücher waren angeblich auch der Grund dafür, dass sie so zurückgezogen gelebt hatte und nicht einmal mehr ihre Leser treffen wollte. »Weil sie den Kindern nicht mehr in die Augen sehen kann«, schrieb eine Zeitung 1977, ein Jahr nach der Veröffentlichung. Irgendjemand erhob sogar Anzeige, doch das führte zu nichts.
Natürlich nicht.
Fredrika suchte wieder den Artikel mit dem Bild heraus, auf dem auch Theas Sohn Johan zu sehen war. Die Filmpremiere. Seit seinem Verschwinden hatte man nie wieder von ihm gehört, und er war auch nicht gefunden worden. Wohin war er verschwunden? Wenn er damals nicht so jung gewesen wäre, hätte Fredrika vermutet, dass er es war, der das Grab mit Rebecca in Midsommarkransen teilte.
Johan war mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln im ganzen Land gesucht worden. Auch darüber hatte Rebecca Artikel gesammelt. Zu Anfang hatten sich die Menschen hinter ihre Lieblingsautorin geschart, um dann einen Schritt zurückzutreten, als ihnen ein neues Gerücht zu Ohren kam. Thea Aldrin sollte den Jungen eigenhändig ermordet haben. Und im Kielwasser dieses üblen Gerüchts entstanden neue. Wieder einmal fragte man sich, warum Aldrin beschlossen hatte, allein zu leben. Was für ein Geheimnis trug sie mit sich herum, dass sie keinen Mann in ihre Nähe lassen wollte? Was konnte ein Gewissen so schwer belasten, dass es einen Menschen in den Wahnsinn trieb?
Fredrika spürte Wut in sich aufsteigen. Woher kam nur all dieser Tratsch? Erst über »Asteroid« und »Merkurius«, dann über das Verschwinden des Sohnes? Die Boshaftigkeit, mit der die Öffentlichkeit ihr begegnete, schien Thea geradezu in Raserei versetzt zu haben, denn ein Jahr später ermordete sie ihren Exfreund, den Mann, der angeblich der Vater ihres Sohnes war. Die Zeitungen waren schlampig genug zu schreiben, es wäre ihr Exmann
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