Sterntaucher
verdatterten Kissel zurückweisen und sie begleiten würde, war nicht geplant.
»Nach dem Regen wird dieses Kreuz weg sein«, sagte Pagelsdorf. »Ich hoffe, Sie finden die Stelle.«
»Sicher, ich hab sie ja markiert.«
»Mit was?«
»Na, mit dem, was ich dabei hatte.« Ina fiel das Atmen schwer und deshalb auch das Reden. »Siegel.«
»Und wenn dieser Mensch nun zurückgekommen ist?« Pagelsdorf knöpfte sein schickes Jackett zu. »Als Polizist wird er wissen, was so ein Siegel bedeutet.«
»Es klebt gegenüber.« Ohrfeige deinen Chef, und du bist raus aus dem Spiel. »Auf der anderen Seite.«
»Gut«, sagte er. »Das wollte ich hören.«
»Halten Sie mich für doof?«
»Aber ich bitte Sie.« Er blieb stehen, um Nicole Mewes mit Handschlag zu begrüßen. »Sie haben die Einsatzleitung übernommen?«
Nicole nickte. »Ich kann nicht gut buddeln.«
Pagelsdorf versuchte es mit Konversation. »Stellen Sie sich einen Obstgarten vor, und Sie fahren die Ernte ein.«
»Hm«, sagte Nicole. »Die hol ich von Bäumen.« Sie nickte den übrigen Beamten zu, Männern mit Schaufeln, zu deren Füßen der Leichenhund lag.
»Nun ja«, sagte Pagelsdorf. »Wir dürfen nichts auslassen. Wie ich schon sagte, besteht die vage Vermutung, daß wir hier eine Leiche haben.«
»Hoffentlich schon skelettiert«, sagte der Hundeführer. »Oder noch frisch. Ich sag immer: ganz oder gar nicht, das dazwischen ist übel.«
»Nun ja«, murmelte Pagelsdorf erneut. Als sie die Stelle zwischen den Büschen betraten, war die Erde Matsch und das gemalte Kreuz nicht mehr zu sehen.
Nicole schob die Spitze ihres schweren Stiefels in den Boden und sagte düster: »Frisch schon mal nicht.«
»Der Dexter wird aktiv, wenn so einige Zentimeter runter sind«, sagte der Hundeführer. »Oder auch nicht.« Dexter, ein stiller Schäferhund, gähnte zufrieden und sah nicht so aus, als sei er jemals in seinem Hundeleben aktiv gewesen.
»Auf geht’s«, sagte Nicole, und wie kleine Jungs, die dabei sind, etwas Verbotenes zu tun, sahen die Männer einander unschlüssig an, bevor sie zu graben begannen.
Ina drückte die Schultern gegen einen Baum und konzentrierte sich auf das schwere, dumpfe Geräusch, das entstand, wenn die Spaten in die Erde drangen. Die drückende Luft war wie ein Schleier vor ihren Augen, hinter dem sie Katja Kammer am Klavier sitzen sah. Die Finger einer Hand waren um das Mikrofon gelegt, und in ihren Augen lag ein sanftes Leuchten.
»Durchknallwetter.« Nicole kam langsam auf sie zu und berichtete, daß es morgens schon begonnen hatte, als eine betrunkene Autofahrerin auf einen leeren Spielplatz raste, im Sandkasten hängenblieb, um daraufhin minutenlang zu hupen. Kurz darauf ein Nackter im Kaufhof, schwer zu fangen. Wie ein Waldschrat durch die Haushaltswaren, mit dem Bundesfinanzminister zankend, den außer ihm niemand sah. Prügeleien, Saufereien, kopflose Mütter und verlorene Kinder, so würde es weitergehen, weil mit dem niedrigen Luftdruck auch die Reizschwelle sank.
»Ich komm dann morgens nie raus«, murmelte Ina. »Wenn’s so ist.«
Nicole legte beide Hände auf den Baumstamm, direkt über Inas Kopf, und vielleicht standen sie jetzt wie ein Liebespaar da, das sich im Wald verbarg. »Bist du in Ordnung?« fragte sie.
»Ja klar.«
Nicole schien es zu bezweifeln. »Dazu noch die Luftfeuchtigkeit«, fing sie an, als ein hoher Ton die Luft zerriß. Er kam von Dexter. Wie ein Welpe fiepend, sauste der Hund um das Häuflein aufgeschütteter Erde herum, schlug mit einer Pfote, stemmte dann beide Vorderpfoten in den Dreck und reckte das Hinterteil in die Höhe. Die nächsten Laute kamen gleichzeitig. »Na, dann Prost«, sagte der Hundeführer, Nicole stieß die Luft durch die Nase, und Pagelsdorf rief: »Oh Gott.« Dann war es still, bis auf das Hecheln des Hundes.
Pagelsdorf, der sich vorsichtig der Stelle genähert hatte, sagte: »Ich sehe nichts.«
»Noch nicht«, sagte der Hundeführer drohend. »Die haben feine Nasen.« Unschlüssig blickte er auf Nicole.
»Die Kripokollegen rufen die Gerichtsmedizin«, sagte sie, »und wir machen hier weiter.«
Die Beamten streiften Mundschutz über, während Pagelsdorf sein Handy zog. Alles lief gleichzeitig ab wie bei einem einstudierten Tanz, sekundenlang waren die Schaufeln zu sehen, bevor sie wieder in der Erde verschwanden. Die Männer gruben vorsichtiger jetzt und ängstlicher auch, weil sie wohl nicht wußten, wie das war, in der Erde auf etwas anderes zu stoßen als auf
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