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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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Machen Sie Urlaub jetzt, wollen Sie verreisen?«
    Das war eine einfache Frage, Robbi, zwei einfache Fragen, aber die hat mich blöd angeguckt. Ein Flackerblick, weißt du, als wär ich der Mann aus dem Mond oder E. T., gewachsen, groß geworden und auf der Erde zurück.
    »Nein«, sagte sie nur, stotterte herum. »Nein, nein.«
    Die Stimme, was für ein Quatsch. Vielleicht maßte diese Schlampe sich an, die Stimme seiner Mutter zu imitieren, weil sie Katja einmal auf der Bühne sah und selbst so unbedeutend war in ihrem schwarzen, schmutzigen Nichts? Das war doch möglich, die Leute machten die verrücktesten Sachen, wenn sie am Ende waren, und siehst du, Robbi, das hat dich damals in der Riederwaldnacht schon total verwirrt. Bist du drauf reingefallen, du Depp.
    Er zog am Lenker und rutschte auf seinem Sattel hin und her wie ein Polizist auf einem unruhigen Pferd. Es war kälter geworden, die Luft roch nach Rauch, und die nächste U-Bahn kroch wie ein Gespenst heran, mit glühenden Augen im aufkommenden Nebel. Er hob sein Rad hinein und schob es an Leuten vorbei, die böse glotzten, weil man mit einem Fahrrad nicht in die U-Bahn durfte, in die S-Bahn aber wohl, oder war es umgekehrt? Pommes und Eis waren auch verboten, Robin fraß das alles den ganzen Sommer über da drin.
    Sie kam hinter ihm her. Zögernd fast, als dürfe sie nicht, setzte sie sich auf die gegenüberliegende Bank und schien dreimal Anlauf zu nehmen, bevor sie fragte: »Wie geht es dir?«
    »Gut. Was geht Sie das an?«
    »Und Robin? Was ist mit ihm?«
    »Woher wissen Sie seinen Namen?« Er hielt sein Rad mit der Rechten und schlug mit der Luftpumpe leicht auf seine Knie, während sie ihn wie ein Bild betrachtete, das sie nicht verstand. Nach einer Weile legte sie den Kopf zurück und fragte noch einmal, doch diesmal so leise, daß er sie kaum verstand: »Wie geht es deinem Bruder?«
    »Bestens, warum? Was wollen Sie eigentlich?«
    Sie schien nach einer Antwort zu suchen und probierte, ob die Wörter es bis auf ihre Zunge schafften. Wieder fiel ihm ein, was seine Mutter sagte, als er ein Kind gewesen war: Du hast die Wörter in dir eingesperrt und findest den Schlüssel nicht mehr. Sie sah ihn an und blickte wieder weg, nur um dann wieder hinzusehen wie so ein Gör, das sich etwas wünscht und gleich gucken muß, ob es auch eingetreten ist. Er ließ sie gucken, es machte ihm nichts aus. Diesmal war er nicht der Wurm zu ihren Füßen, weil er ihr jetzt das Gesicht wegschlagen könnte mit einer einzigen Bewegung.
    Sie fuhren bis zur Innenstadt. Beim Aussteigen beachtete er sie nicht weiter, schob das Rad hinter eine Säule und sah, wie schwach und holprig ihre Schritte waren, genauso tastend wie ihr Blick. Doch sie sah ihn nicht mehr. Die war am Ende, Robbi, die kannte sich nicht mehr aus, bloß noch Reste waren zu sehen. An der Konstablerwache schlug sie den Weg zu den alten Huren ein, die wie aussortierte Schaufensterpuppen an vergammelten Häuserwänden lehnten, schlich weiter, an Pennern und Junkies vorbei, um in einem Drecksbau zu verschwinden, auf dem in abbröckelnder Schrift Hotel Sylvia stand, so ein Bumshotel, das sie aufsaugte wie eine Kehrmaschine den Dreck, und zu dieser Frau, Robbi, hast du Mama gesagt?

[ 16 ]
    Das Gelände war schon abgesperrt, als Pagelsdorf seinen Wagen hinter dem Bus der Bereitschaftspolizei parkte. »Nun, Frau Henkel«, sagte er, »ich habe ein ungutes Gefühl.«
    »Glauben Sie, ich hab ein gutes?« Es hatte wieder geregnet in der Nacht, und als Ina über den weichen Boden ging, fielen ihr die Worte ihrer Mutter ein: »Als Kind hast du fast die Beerdigung deines Großvaters gesprengt.« Sie selber konnte sich nur undeutlich daran erinnern, doch ihre Mutter erzählte jedem, der es hören wollte, wie Ina sich am offenen Grab an ihren Vater wandte: Ist er da jetzt drin?
    Ja, da ist er jetzt drin.
    Aber du hast doch gesagt, er war im Himmel.
    Ja, sei still.
    Aber das ist die Erde.
    Ja.
    Aber warum hast du gesagt, er wär im Himmel?
    Vielleicht hatte sie sich schon seit diesem Tag ein Paradies nicht mehr vorstellen können, genausowenig wie die Hölle als einen unterirdischen Ort. Die Hölle war hier, war in den Wohnungen, aus denen sie verschimmelte Leichen zogen, und in den Augen von Leuten wie Belloff. Der Himmel aber war nirgends, sinnlos, die Sterne zu suchen. Sie streckte sich und sah die Mützen der Beamten; es war Nicoles Schicht, das hatten sie gemeinsam so gedeichselt, nur daß der Chef der Mordkommission den

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