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Sterntaucher

Sterntaucher

Titel: Sterntaucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Paprotta
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»Mama, komm.«
    Vier Schritte hin, drei Schritte zurück. Auf dem Boden lag seine Jacke, sie war so schön, seine schwarze Jacke mit der weißen Aufschrift Polizei. Sie beruhigte ihn wie ein Mensch, der ihm die Hände auf die Schultern legte und flüsterte: Alles wird gut. Schau her, Dori, es tut nicht mehr weh, soll ich pusten? Sie stimmte ihn friedlich, seine Jacke, doch was nützte sie ohne ihre perfekte Ergänzung, was war sie wert, wenn sie nicht den letzten Schliff bekam? Aus seinem Schrankfach holte er ein paar Sweatshirts heraus, darunter lag der Schlagstock mit seiner glatten Oberfläche, den er gleich zu Anfang seiner Ausbildung hatte mitgehen lassen. Er hatte nichts Besonderes mit ihm vor, wollte nur wissen, daß er da lag, unter Sweatshirts verborgen, seiner Stunde harrend, seiner Bestimmung. Mit zwei Fingern fuhr er darüber und drückte dann die Spitze auf Robins Stirn. »Wie findest du den?«
     
    Wieder gingen sie am Abend los, wie damals schon, als sie aufbrachen, um im Folterhaus zu landen. Doch diesmal würden sie nicht Opfer sein, sie würden niemals mehr Opfer sein. Sie sahen ihre Gesichter im spiegelnden Fenster der S-Bahn; wird schon gut, sagten ihre Mienen, diesmal wird’s gut. Robin kicherte darüber, daß Dorian die schicke Polizeijacke in seinen Rucksack gepackt hatte, weil er sich nicht traute, sie unterwegs schon zu tragen. Den Schlagstock hatte er in den Ärmel seiner Jeansjacke geschoben, und von dort aus schien er auch Robin Mut und Kraft zu geben, denn er quasselte in einer Tour und machte Faxen. Er fing an zu singen und pfiff Frauen an, die sich auf ihrem Einzelsitz zusammenkauerten, als warte ein Teufel an der Endstation.
    Kemper wohnte am anderen Ende der Stadt in einem grauen Bau, der in seiner beschmierten und bekritzelten Trostlosigkeit kaum zu jenem Haus paßte, in dem der Mann von früher lebte. Nie hatte Dorian dieses schöne alte Haus vergessen, dessen warm leuchtende Fassade aussah wie aus Ton gemacht. Vögel sangen in dem hohen Baum davor, und einmal hielt Katja ihn fest, als er auf der Fensterbank saß. Er fühlte das Streicheln ihrer Hände auf seinen Schultern, als sie sagte: »Oben ist er braun und unten ist er weiß.«
    »Wer?«
    »Der Sterntaucher.«
    »Ist er hier?«
    »Nein, hier ist er nicht.«
    »Warum nicht?«
    »Es gibt keine Sterne.«
    Dorian legte den Kopf in den Nacken. »So gut scheinen seine Geschäfte nicht zu laufen.«
    »Mußt es mal von innen sehen«, flüsterte Robin. Wieder fing er hysterisch an zu kichern, als er zusah, wie Dorian die schwarze Jacke anzog und die weiße Mütze aufsetzte, dann legte er seine kurzen Finger für einen Moment auf den Schlagstock wie auf einen Kultgegenstand. »Jo«, murmelte er, bevor er klingelte, einmal lang, einmal kurz und einmal lang.
    Überraschten sie ihn? Den ganzen Weg über hatte Dorian sich sein Erschrecken vorgestellt, Angst und Unruhe in seinen Augen, doch Kemper lächelte, als er sie sah, ein Lächeln, das auf seinen Lippen war, nicht in den Augen. Wie dunkle, blankpolierte Knöpfe waren die Augen, man guckte ihn an und dachte, daß er den Frauen gefiel. Er war höflich, sagte: »Nehmt doch Platz, wollt ihr was trinken?« Doch sie blieben stehen und wollten nichts, Dorian umklammerte den Schlagstock, während Robin sich fast auf die Zehenspitzen stellte, um sich größer zu machen, als er war. Möbel aus Leder, Stahl und Ebenholz standen in der Wohnung, die zu der düsteren Fassade des Hauses kaum paßten. Aber zu ihm paßte das alles, weil er genauso war, er tat Böses und sah gut aus.
    Kemper setzte sich auf ein weißes Ledersofa und lächelte in den Raum hinein. »Robin hat also seinen großen Bruder mitgebracht.«
    Dorian sagte: »Das hat seinen Grund.« Er starrte ihn an, wie er da saß. Was sollte außergewöhnlich daran sein, natürlich saß er wie ein Mensch, ein entspannter, gutgelaunter Mensch, der bereit war für ein Plauderstündchen. Keine Angst, nein, noch nicht einmal Besorgnis schimmerte in seinen Augen. Doch Dorian hatte lodernde Feuer gesehen, sobald er an ihn dachte, zitternde Flammen, die sich in sein Hirn fraßen, um die Bilder auszulöschen und alle Geräusche zu ersticken, schlagende Hände, Peitschen, Ketten, Schreie, ihre eigenen Schreie, über die sie nie gesprochen hatten, Robins Weinen, die Stimme der Frau. So war das gewesen in diesen Jahren, und jetzt, als er ihn sah, brannten keine Feuer mehr. Es war der Mann, der seine Arme auf den Rücken drehte, um ihn in das Folterhaus

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