Sterntaucher
unterm Bett hervor, in dem Dorian die Sachen verstaute, die er in seiner Freizeit nicht tragen durfte, die Uniformmütze und die dunkle Jacke mit der weißen Aufschrift Polizei.
»Wo ist die Hose?« fragte er.
»Was geht’s dich an, ich hab keine Hose, jedenfalls nicht hier.«
»Er hat keine Hose«, wiederholte Robin mitleidig. »Aber die Mütze ist doch gut, und die Jacke ist echt geil. Ziehst die schwarzen Jeans dazu an, merkt keiner.«
Dorian wollte ihn wegstoßen, doch dann sah er Robins Schultern heruntersacken und fragte: »Was ist los?«
»Mensch, Mensch«, flüsterte Robin. »Weißte was, du mußt mir helfen, ich brauch einen Bullen, aber keinen richtigen.«
Was redete er? Er redete vom Geldmachen, wie so oft, fing umständlich an und verhedderte sich immer wieder, während er seine Hände an den Schenkeln rieb und dann an den Oberarmen, um sich Trost zu spenden oder Mut zu machen, wer wußte das schon. Er sprach von Typen, die viel bezahlten, wenn man sie nur mit der richtigen Ware belieferte, und er sagte, daß er nichts Verkehrtes tat, denn er tat ja eigentlich nichts, das waren die anderen, die es machten, die Typen selbst. Seine Augen wurden schmal, als er es aussprach: Typen, die darauf standen, andere zu foltern und halb totzuprügeln, und Dorian dachte schon, sie würden nach Jahren nun darüber reden, über den Schmerz und über die Angst, diese beschissene Angst, die vielleicht ein Leben lang blieb und sie schon anspringen konnte, wenn sie nur eine brennende Kerze sahen, weil sie die brennende Kerze im Arsch spürten, bevor das Feuer erlosch. Er meinte, Robin würde sagen: Ich denk da manchmal dran, du auch? Dabei will ich überhaupt nicht dran denken, weil: Das tut ziemlich weh. Doch Robin sagte: »Da gibt’s also diesen Laden, da kriegste die Videos, weißte? Kriegste unterm Tisch.«
»Sind wir da auch drauf?« Dorian hörte das Zittern in seiner Stimme und spürte, wie ihm der Schweiß den Rücken herunterlief, doch Robin zuckte nur mit den Schultern.
»Weiß ich nicht«, sagte er. »Ich guck mir so ’n Scheiß nicht an. Na jedenfalls kommen da die Typen hin, die du nur gescheit abpassen mußt und ihnen sagen, wie du sie da hinbringst, wo sie wirklich was machen können, nicht bloß Videos gucken.«
»Im Schuppen«, flüsterte Dorian. »Im Riederwald.«
»Nee, da isses nicht mehr. Ist jetzt woanders.« Er sagte nicht, wo es jetzt war, doch er sagte, daß er nun einen Teil dieses Geschäftes betrieb, sozusagen im Vorfeld tätig war und sich bezahlen ließ für die Vermittlung einer Adresse.
»Der Typ traut sich das nicht«, sagte er. »Der, dem der Videoshop gehört, der bringt das nicht. Ich mach es.«
»Du Arschloch«, sagte Dorian, »du verdammter Wichser.«
Robin achtete nicht darauf. Wie aufgezogen sprach er weiter, klopfte sich auf die Knie und schaukelte hin und her, sprach von einem Mann, der nicht wollte, daß er das tat und der ihm schon aufgelauert hatte, um ihn zu bedrohen, er sprach vom Boß, sagte er großspurig, von Kemper.
»Der Typ mit den Locken, weißte? Der uns geschnappt und nachher heimgeschickt hat. Hast du auch gewußt, daß wir bei dem mal gewohnt haben? Hat er mir erzählt, ich wußte das nicht mehr.« Er blinzelte Dorian an. »Nee, du weißt das garantiert nicht, bist ja ’n ganz Großer im Vergessen, willst ja noch nicht mal deine eigene Mutter kennen, wenn se vor dir steht.«
»Du Quatschkopf«, sagte Dorian. »Die erkennen wir unter –« Was sollte er sagen, Hunderten, Tausenden, Millionen? Er sah auf seine zitternden Hände und rief: »Was willst du eigentlich?«
Robins Stimme kippte, als er flüsterte: »Dori, ich steck echt in der Scheiße. Der Kemper, der läßt mich nicht in Ruhe, der will mich abservieren, verstehste?«
»Und?«
»Mach ihn alle.« Robin hielt sich den Kopf. »Oder noch besser, du sagst, daß seine Verhaftung kurz bevorsteht, daß du das weißt, weil du ja Bulle bist. Du mußt ihm Angst machen, weißte? Er soll verschwinden.«
Er war sechzehn, hatte keinen Schimmer. Was machte man mit ihm? Dorian lief im Zimmer umher, vier Schritte vom Fenster bis zur Tür, drei große Schritte zurück. Ein Käfig, nicht wahr, ein Loch. Als Kinder hatten sie herausgewollt, nicht nur für einen Nachmittag, nein, für immer, da trommelten sie mit ihren kleinen Fäusten auf die Wände ein und auf den Boden, traten gegen den Schrank und gegen den Tisch, nur um zu heulen am Ende und zu schreien. »Mama, Mama, Mama«, hatte Robin gebrüllt,
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