Sterntaucher
die Sache ja so: Zuerst fährt Mama diesen Scheißer zum Krüppel, der Robin gefoltert hat. Nehmen wir an, sie hat daraufhin auch Kemper des Irdischen entbunden.«
Ina sah ihn an und biß sich auf die Lippen.
»Söhnchen war in dieser Sache behilflich«, fuhr er fort. »Sie hat Kemper ja kaum allein dahin schleppen und eigenhändig begraben können.«
»Vielleicht«, sagte sie. »Das Motiv wäre okay, nicht? Kann man nichts sagen.«
»Meine Liebe, du verlierst langsam jegliche –«
»Ich verliere gar nichts. Ich versuche nur, mich in sie hineinzudenken.«
»Dein Kopf raucht schon.«
»Und dann? Wer tötete Robin?« Sie klappte ihr Notizbuch auf, in dem unter dem heutigen Datum nur zwei Worte standen, die Dorian gesagt hatte: Lunaland, Bar.
»Sie oder er.« Kissel legte den Kopf schief. »Mama oder Bruder.«
»So, aha«, sagte sie. »Deine Logik möcht ich haben. Erst rächt sie ihren Sohn, nur um ihn dann zu töten?«
»Das war später. Wer weiß, was sich in der Zwischenzeit ereignet hat. Möglicherweise hat Dorian das von ihr, und sie ist selber nicht klar im Kopf.«
»Nein«, sagte sie. »Das ist alles Quatsch.«
»Ah natürlich.« Kissel sah sie lange an. »Weißt du was? Du bist zu jung, Ina, und zu romantisch.«
»Bestimmt nicht. Bei mir hat sich noch jeder Typ beschwert, daß ich kein Kerzenlicht mag. Außerdem kannst du mich jagen mit Schnulzen und so.«
»Nun«, sagte er, »dann hast du dir gewisse Klischees bewahrt. Vielleicht guckst du zu viele Mutterdramen in SAT 1. Blut ist keineswegs dicker als Wasser, und das Herz einer Mutter ist auch bloß ein Muskel.«
»Und?« Sie schob ihren Stuhl unter den Tisch, ein Geräusch, das ihn zusammenzucken ließ.
»Verstehst du dich mit deiner eigenen Mutter?« fragte er.
Sie warf eine Akte auf den Tisch. »Machst du jetzt auf Analytiker? Ich seh die Frau bestimmt nicht als Idealmutter.«
»Als was dann?«
Sie hob die Schultern und sah an ihm vorbei. »Ich weiß nicht«, murmelte sie.
»Fängst vor einem Tatverdächtigen an zu heulen, mein Gott.«
»Das stimmt nicht.«
»Nein? Ist dir Wimperntusche ins Auge gekommen?«
»Ich brauch keine Wimperntusche, hab ich nicht nötig. Nein, sie hat ihren Sohn nicht – ich meine, das kann sie überhaupt nicht.«
»Na sicher, du verstehst sie vollkommen. Warum findest du sie dann nicht? Muß doch eine Kleinigkeit für dich sein, dich so hübsch in sie reinzudenken, daß du weißt, wo sie sich verkriecht.«
»Ich finde sie«, sagte sie leise. »Verlaß dich drauf.«
Als sie das Gebäude verließ, glaubte sie aus dem Sirren der Luft eine kleine Melodie herauszuhören, als bewegten sich zwei Hände leicht auf den Tasten eines Klaviers. Sie hatte sie oft genug auf dem Video gehört und konnte nun auch das Gesicht der Kammer sehen, dieses leichte, träumerische Lächeln auf ihren Lippen, das einem Schmollmund wich, wenn sie sich verspielte.
Ja, verdammt. Ist gut.
Sie legte den Kopf in den Nacken – Sterne am Himmel, auch das noch. Nie hatte sie sich für den Mond und für die Sterne interessiert, nur für die Sonne in einem anderen Land, dennoch spürte sie wieder dieses Ziehen im Magen, als wäre etwas vorüber, bevor es die Chance hatte zu beginnen. Als sie Nicoles Wagen aus einer Parklücke kriechen sah, rannte sie los.
Nicole öffnete die Beifahrertür. »Wieviel Überstunden sind’s denn diesmal? Soll ich dich mitnehmen?«
»Nein, mein Wagen steht drüben.« Ina lehnte sich zurück. »An Dorian beiß ich mir was aus.« Sie rieb sich die Augen. »Sag mal, hat er seine Mutter schon mal diese Frau genannt?«
Nicole sah sie verständnislos an.
»Als wär sie eine fremde Frau – irgendeine? Hat er schon mal irgendwas von einer Frau vom Riederwald erzählt?«
»Nein, bestimmt nicht, seine Mutter ist begabt und schön und stark und selbstverständlich die zärtlichste Mutter. Das ist doch nicht irgendeine Frau. Wie kommst du darauf?«
»Heute hat er so was gesagt«, murmelte Ina.
»Deshalb wechselt er auch seine Freundinnen so oft«, sagte Nicole. »Sicher reicht keine an sie heran.«
»Na ja.« Ina sah sie von der Seite an. »Was das Wechseln von Freundinnen betrifft –«
»Die letzten Male war Pech«, sagte Nicole.
»Bei ihm vielleicht auch. Hat er dich eigentlich mal angemacht? Ich hatte immer das Gefühl, der steht auf dich.«
Nicole zuckte mit den Schultern. »Er hat mich mal gefragt, ob ich einen Freund habe. Als ich nein sagte, strahlte er mich so lange an, bis ich sagte, dafür hab ich
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