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Sternwanderer

Titel: Sternwanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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durch ein Wunder überlebte, nichts tun konnte, da er nicht mal einen Eimer Wasser dabei hatte – was in Wall die traditionelle Methode war, um kämpfende Tiere auseinanderzubringen. Doch bis ihm alle diese Gedanken durch den Kopf gegangen waren, stand er bereits im Zentrum der Lichtung, nur um Armeslänge von den beiden Tieren entfernt. Der Geruch des Löwen war durchdringend, schrecklich, und Tristran war ihm nahe genug, um den flehentlichen Ausdruck in den schwarzen Augen des Einhorns zu erkennen…
    Der Löwe und das Einhorn kämpften um die Krone, dachte Tristran, dem der alte Kinderreim einfiel.
     
    Der Löwe jagt’ das Einhorn
    Quer durch die ganze Stadt.
    Er schlägt’s einmal
    Er schlägt’s zweimal
    Mit seiner ganzen Kraft.
    Er schlägt es auch ein drittes Mal
    Will erhalten seine Macht.
     
    Und mit diesem Gedanken hob Tristran die Krone aus dem Gras auf; sie war schwer und glatt wie Blei. Dann ging er zu den Tieren und sprach mit dem Löwen, wie er früher mit den übellaunigen Widdern und den aufgeregten Mutterschafen auf den Weiden seines Vaters gesprochen hatte. »Ganz ruhig, na komm… ganz ruhig… schau, hier ist deine Krone.«
    Der Löwe schüttelte das Einhorn wie eine Katze den Wollschal und warf Tristran einen vollkommen verwirrten Blick zu.
    »Hallo«, sagte Tristran. In der Mähne des Löwen hatten sich Kletten und Blätter verfangen. Tristran hielt dem großen Biest die Krone hin. »Du hast gewonnen. Laß das Einhorn in Frieden ziehen.« Wieder trat er einen Schritt näher und setzte mit zitternden Händen dem Löwen die Krone auf den Kopf.
    Langsam stieg der Löwe vom Rücken des gestürzten Einhorns und begann dann hoch erhobenen Hauptes auf der Lichtung umherzuschreiten. Als er den Waldrand erreichte, blieb er einige Minuten stehen, um sich mit seiner roten Zunge die Wunden zu lecken; dann schlüpfte er, leise brummend wie ein fernes Erdbeben, in den Wald hinein und verschwand.
    Die Sternfrau hinkte zu dem verwundeten Einhorn hinüber und ließ sich neben ihm ins Gras sinken, ungelenk, das gebrochene Bein zur Seite von sich weggestreckt. Sie streichelte den Kopf des Tieres. »Du armes, armes Wesen«, sagte sie leise. Da schlug das Einhorn die Augen auf, legte den Kopf in ihren Schoß und schloß die Augen wieder.
    Am Abend verzehrte Tristran den letzten Rest des harten Brots. Die Sternfrau aß nichts. Sie hatte darauf bestanden, neben dem Einhorn sitzen zu bleiben, und Tristran hatte es nicht übers Herz gebracht, ihr diesen Wunsch zu verweigern.
    Inzwischen war es auf der Lichtung dunkel geworden. Der Himmel über ihnen füllte sich mit Tausenden glitzernden Sternen. Auch die Sternfrau glitzerte, als hätte die Milchstraße sie gestreift, während das Einhorn in der Dunkelheit sanft schimmerte, wie der Mond hinter den Wolken. Tristran legte sich neben den mächtigen Körper des Einhorns und spürte die Wärme, die von ihm ausging. Auf der anderen Seite des Tieres lag die Sternfrau, und es hörte sich an, als sänge sie ganz leise ein Lied für das Einhorn. Tristran hätte gern mehr davon gehört. Die Bruchstücke der Melodie, die er mitbekam, waren fremd und faszinierend, aber sie sang so leise, daß nicht viel davon zu hören war.
    Seine Finger berührten die Kette, die sie miteinander verband: Kalt wie Schnee war sie, zart wie Mondlicht auf dem Mühlteich oder das Schimmern des Lichts auf den Silberschuppen der Forelle, wenn sie in der Dämmerung nach Futter schnappt.
    Und bald darauf war er eingeschlafen.
     
     
    * * *
     
    Die Hexenkönigin steuerte ihren Wagen einen Waldweg entlang; wenn die Geißböcke Anzeichen von Ermüdung zeigten, bekamen sie die Peitsche zu spüren. Schon ungefähr eine halbe Meile vorher entdeckte sie das kleine Kochfeuer neben dem Pfad, und sie erkannte an der Farbe der Flammen, daß es von jemandem ihresgleichen angezündet worden war, denn Hexenfeuer brennen in bestimmten ungewöhnlichen Farben. Sie zügelte ihre Ziegenböcke, als sie den farbenfroh angemalten Zigeunerwagen, das Feuer und die grauhaarige Frau erreichten, die neben dem Feuer saß und sich um den Spieß kümmerte, auf dem ein Hase briet. Fett triefte aus seinen Eingeweiden, daß das Feuer brutzelte und zischte; ein durchdringender Geruch nach bratendem Fleisch und Holzrauch ging von ihm aus.
    Neben dem Fahrersitz des Wagens hockte ein vielfarbiger Vogel auf einer hölzernen Stange. Er plusterte sich auf und stieß einen Warnschrei aus, als er die Hexenkönigin entdeckte, aber er war auf

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