Sternwanderer
Zitadelle besuchen, hoch oben auf den Klippen von Mount Huon. Das ist wirklich ein Berg, und von dort kannst du auf andere Berge herabsehen, neben denen diese hier«, er deutete auf den Gipfel des Mount Belly vor ihnen, »nichts weiter sind als Hügel.«
»Offen gesagt«, meinte Tristran, »möchte ich den Rest meines Lebens am liebsten als Schaffarmer im Dorf Wall verbringen, denn ich habe inzwischen mehr Abenteuer erlebt, als ein Mensch nötig hat. Aber ich weiß Eure freundliche Einladung sehr zu schätzen und danke Euch dafür. Falls Ihr je einmal nach Wall kommt, werde ich Euch Wollsachen und Schafkäse zum Geschenk machen und soviel Hammeleintopf vorsetzen, wie Ihr essen könnt.«
»Du bist wirklich zu liebenswürdig«, meinte der Mann. Inzwischen war der Weg nicht mehr so holprig, sondern mit Kies und einigermaßen glatten Steinen belegt. Der Wagenlenker ließ die Peitsche knallen und trieb die vier schwarzen Hengste an. »Du hast also ein Einhorn gesehen, sagst du?«
Tristran wollte ihm gleich alles erzählen, aber dann überlegte er es sich doch anders und sagte nur: »Es war ein sehr edles Tier.«
»Einhörner sind Kreaturen des Mondes«, erklärte der Mann in Schwarz. »Ich habe noch nie eines gesehen. Aber der Überlieferung zufolge dienen sie der Mondfrau und tun, was sie ihnen sagt. Morgen abend erreichen wir die Berge. Heute machen wir bei Sonnenuntergang Pause. Wenn du willst, kannst du in der Kutsche schlafen; ich lege mich neben das Feuer.« Zwar änderte sich seine Stimme nicht im mindesten, aber Tristran wußte mit einer Sicherheit, die unerwartet und erschreckend deutlich war, daß dieser Mann Angst hatte, daß er sich fürchtete bis in die tiefsten Tiefen seiner Seele.
In der Nacht zuckte Wetterleuchten über den Berggipfeln. Tristran schlief auf der Lederbank in der Kutsche, den Kopf auf einem Hafersack; er träumte von Geistern, von der Mondfrau und den Sternen.
Als der Morgen graute, begann es zu regnen, abrupt und wie aus Kübeln. Niedrige graue Wolken verbargen das Gebirge vor ihren Blicken. Im strömenden Regen spannten Tristran und der Mann in Schwarz die Pferde an und fuhren los. Nun führte der Weg steil bergauf, und die Pferde mußten im Schritt gehen.
»Du kannst dich in die Kutsche setzen«, sagte der Mann. »Es hat keinen Sinn, daß wir beide naß werden.« Sie hatten sich das Ölzeug übergezogen, das unter dem Kutschbock verstaut gewesen war.
»Um noch nasser zu werden«, entgegnete Tristran, »müßte ich gerade in einen Fluß springen. Ich bleibe hier. Zwei Paar Augen und zwei Paar Hände sind besser, falls wir in Gefahr geraten.«
Sein Begleiter grunzte. Dann wischte er sich mit seiner kalten nassen Hand den Regen aus Augen und Mund und sagte: »Du bist töricht, Junge. Aber ich weiß es zu schätzen.« Damit nahm er die Zügel in die linke Hand und streckte Tristran die rechte entgegen. »Man nennt mich Primus. Lord Primus.«
»Tristran. Tristran Thorn«, gab Tristran zurück in dem Gefühl, daß der Mann es irgendwie verdient hatte, seinen richtigen Namen zu erfahren.
Sie schüttelten einander die Hand. Der Regen wurde noch stärker. Während sich der Weg zusehends in einen Sturzbach verwandelte, wurden die Pferde immer langsamer, und der Regen verschlechterte die Sicht ebenso effektiv wie der dichteste Nebel.
»Es gibt da einen Mann«, sagte Lord Primus, besser gesagt schrie er, um trotz des prasselnden Regens und des Windes, der ihm die Worte von den Lippen fegte, gehört zu werden. »Er ist groß, sieht mir ein bißchen ähnlich, nur ist er dünner, mehr wie eine Krähe. Seine Augen sehen unschuldig und ausdruckslos aus, aber in Wirklichkeit schlummert der Tod in ihnen. Er nennt sich Septimus, denn er war der siebente Knabe, den mein Vater gezeugt hat. Falls du ihn je zu Gesicht bekommst, dann lauf weg, so schnell du kannst, und versteck dich vor ihm. Zwar ist er nur hinter mir her, aber er wird dich ohne Zögern töten, wenn du ihm im Weg stehst, oder er wird dich vielleicht zu seinem Handlanger machen, um mich zu töten.«
Ein heftiger Windstoß peitschte einen Schwall Regenwasser in Tristrans Kragen und seinen Nacken.
»Das klingt, als wäre er ein sehr gefährlicher Mann«, sagte Tristran.
»Er ist der gefährlichste Mann, dem du jemals begegnen könntest.«
Schweigend spähte Tristran in den Regen und die hereinbrechende Dunkelheit. Es wurde immer schwerer, den Weg zu erkennen. »Wenn du mich fragst, hat dieser Sturm etwas Unnatürliches«, stellte
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