Sternwanderer
Feuer im Kamin brannte grün und blau und weiß. Auf einmal erscholl vor dem Gasthaus eine Stimme, die tief und dröhnend das Toben der Elemente übertönte. »Bedienung! Essen! Wein! Feuer! Wo ist der Stallbursche?«
Der Gastwirt Billy und seine Tochter rührten sich nicht vom Fleck, sondern glotzten nur die Frau an, als warteten sie auf Anweisungen. Die Gastwirtin spitzte die Lippen. Dann sagte sie: »Wir haben Zeit. Jedenfalls ein wenig. Schließlich kannst du ja nicht davonlaufen, was, meine Süße?« wandte sie sich an das Sternmädchen und fügte hinzu: »Nicht mit deinem gebrochenen Bein und ganz bestimmt nicht, bevor der Regen aufhört.«
»Ich kann gar nicht sagen, wie sehr ich mich über Eure Gastfreundschaft freue«, beteuerte der Stern schlicht und mit Überzeugung.
»Selbstverständlich«, entgegnete die Gastwirtin und berührte nervös und ungeduldig die beiden Messer, als hätte sie etwas Dringendes vor. »Wir haben reichlich Zeit, wenn die Nervensägen wieder weg sind, ja?«
* * *
Das Licht des Gasthauses war das Fröhlichste und Beste, was Tristran auf seiner Reise durchs Feenland bisher gesehen hatte. Während Primus noch Anweisungen gab, schirrte Tristran die erschöpften Pferde ab und führte eins nach dem anderen zum Stall neben dem Gasthaus. In der hintersten Box schlief ein großes weißes Pferd, aber Tristran war zu beschäftigt, um es genauer in Augenschein zu nehmen.
Irgendwo in seinem Innern, an der Stelle, wo er unbekannte Routen und Entfernungen abrufen konnte, wußte er, daß der Stern ganz in der Nähe war, und das tröstete ihn, machte ihn aber auch ein wenig unruhig. Da die Pferde erholungsbedürftiger und hungriger waren als er selbst, mußte sein Abendessen – und vermutlich das Wiedersehen mit der Sternfrau – warten. »Ich reibe die Pferde trocken«, informierte er Primus. »Sonst holen sie sich womöglich eine Erkältung.«
Der große Mann legte seine mächtige Pranke auf Tristrans Schulter. »Guter Junge. Ich schicke dir den Küchenjungen mit einem Becher warmen Wein.«
Während Tristran die Pferde abrieb und ihre Hufe auskratzte, dachte er an den Stern. Was würde er zu dem Mädchen sagen? Was würde sie zu ihm sagen? Als er beim letzten Pferd angekommen war, erschien ein Dienstmädchen mit ausdruckslosem Gesicht und brachte ihm einen Humpen dampfenden Wein.
»Stell ihn da drüben hin«, sagte er zu ihr. »Ich trinke ihn gern, sobald ich die Hände frei habe.« Das Mädchen stellte den Becher auf eine Werkzeugkiste und ging ohne ein weiteres Wort hinaus.
In diesem Augenblick erhob sich das Pferd in der letzten Box und begann gegen die Tür derselben zu treten.
»Nun, nun, beruhige dich«, rief Tristran, »ganz ruhig, ich sehe gleich mal, ob ich nicht irgendwo warmen Hafer und Kleie für euch alle auftreiben kann.«
Im Vorderhuf des Hengstes steckte ein Stein fest, den Tristran behutsam entfernte. Er wußte nun, was er sagen würde: Madam, ich bitte Euch inständig und untertänigst um Verzeihung Sir, würde die Sternfrau antworten, ich verzeihe Euch von Herzen. Nun laßt uns zu Eurem Dorf wandern, damit Ihr mich Eurer Liebsten vorstellen könnt, als Beweis Eurer Zuneigung …
Seine Grübeleien wurden jäh von einem höllischen Krachen unterbrochen, als das riesige weiße Pferd – das, wie er nun sah, gar kein Pferd war – die Tür zu seiner Box zertrümmerte und verzweifelt auf ihn zustürmte, das Horn tief gesenkt.
Tristran warf sich aufs Stroh, die Arme schützend über dem Kopf.
Sekunden verstrichen. Vorsichtig blickte er hoch. Das Einhorn stand vor dem Humpen Wein und war dabei, sein Horn hineinzustecken.
Ungelenk rappelte Tristran sich auf. Der Wein dampfte und blubberte, und da fiel Tristran ein – ganz langsam stieg die Erinnerung an ein lang vergessenes Märchen oder eine Kindergeschichte in ihm auf –, daß das Horn eines Einhorns Sicherheit gewährleistete vor…
»Gift?« flüsterte er. Das Einhorn hob den Kopf und starrte ihm in die Augen, und Tristran erkannte, daß es die Wahrheit war. Sein Herz klopfte ihm heftig in der Brust. Um das Gasthaus heulte der Wind wie eine verrückt gewordene Hexe.
Im ersten Impuls rannte Tristran zur Stalltür, blieb dann aber stehen und dachte nach. Er wühlte in der Tasche seiner Tunika und fand dort den Klumpen Wachs, der von der Kerze übriggeblieben war. Ein trockenes Blutbuchenblatt klebte daran. Vorsichtig pellte er es ab. Dann hob er es ans Ohr und lauschte angestrengt, was es ihm zu sagen
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