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Sternwanderer

Titel: Sternwanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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linken Hand hielt er den Wachsklumpen, der von der Kerze, die ihn hergebracht hatte, übriggeblieben war. Er hatte ihn in der Hand geknetet, bis er weich und formbar geworden war.
    »Wenn das bloß funktioniert«, dachte er. Hoffentlich hatte das Blatt gewußt, wovon es sprach.
    Hinter ihm schrie das Einhorn vor Schmerz.
    Tristran riß ein Stück Spitze von seiner Weste und wickelte das Wachs darum.
    »Was ist hier los?« fragte die Sternfrau, die auf Händen und Knien zu ihm gekrabbelt war.
    »Ich weiß es auch nicht so genau«, gestand Tristran.
    Da heulte die Hexenfrau plötzlich schrill auf: Das Einhorn hatte ihr mit seinem Horn die Schulter durchbohrt. Jetzt hob es sie hoch und wollte sie zu Boden schleudern, um sie mit seinen scharfen Hufen zu Tode zu trampeln, doch da warf sich die Hexenfrau herum und stach die Spitze des längeren Steinglasmessers dem Einhorn ins Auge, tief hinein, weit in den Schädel.
    Das Tier stürzte auf den Holzboden des Gasthauses; Blut strömte aus seiner Flanke, seinem Auge und dem offenen Maul. Es hielt sich noch kurz auf den Knien, bis es schließlich zusammenbrach und sein Leben aushauchte. Die gescheckte Zunge hing aus seinem Maul, und das tote Tier gab ein jammervolles Bild ab.
    Die Hexenkönigin kam torkelnd auf die Beine, die eine Hand auf die Schulter gepreßt, in der anderen das Hackmesser.
    Ihr Blick wanderte im Raum umher und heftete sich auf Tristran und die Sternfrau, die beim Feuer kauerten. Langsam, qualvoll langsam, taumelte sie auf die beiden zu, das Messer in der Hand, ein Lächeln auf dem Gesicht.
    »Das glühende goldene Herz eines zufriedenen Sterns ist viel besser als das zittrige Herz eines ängstlichen kleinen Sterns«, erklärte sie ihnen. Ihr Gesicht war blutbespritzt, dennoch klang ihre Stimme seltsam ruhig und abgeklärt. »Doch selbst das Herz eines Sterns, der sich furchtet, ist immer noch besser als gar kein Herz.«
    Tristran nahm die Hand der Sternfrau in die seine. »Steh auf«, sagte er zu ihr.
    »Ich kann nicht«, entgegnete sie schlicht.
    »Steh auf, sonst müssen wir sterben«, sagte er, und jetzt nickte sie und versuchte, sich an ihm hochzuziehen.
    »Steh auf, sonst müssen wir sterben?« wiederholte die Hexenkönigin. »Oh, ihr werdet sterben, Kinderchen, ganz gleich ob im Stehen oder im Sitzen. Mir ist das völlig einerlei.« Sie trat einen Schritt näher.
    »Jetzt«, sagte Tristran, packte mit einer Hand den Arm der Sternfrau und hielt mit der anderen die provisorische Kerze, »jetzt, lauf!«
    Und er streckte die linke Hand ins Feuer.
    Es tat weh und brannte, daß er hätte schreien können, und die Hexenkönigin starrte ihn an, als wäre er der personifizierte Wahnsinn.
    Dann fing der improvisierte Docht Feuer, und brannte mit einer stetigen blauen Flamme, so daß die Welt um sie her zu schimmern begann. »Bitte, lauf«, flehte er die Sternfrau an. »Laß mich nicht los.«
    Sie machte einen ungeschickten Schritt.
    So verließen sie das Gasthaus, und das Kreischen der Hexenkönigin gellte in ihren Ohren.
    Im Nu befanden sie sich unter der Erde, und der Kerzenschein flackerte über die feuchten Höhlenwände; im nächsten Moment gelangten sie in eine Wüste voll weißem Sand, der im Mondlicht schimmerte; und dann wiederum waren sie hoch über der Erde und blickten hinab auf die Hügel und Bäume und Flüsse weit unter ihnen.
    Schließlich rann der letzte Rest geschmolzenen Wachses über Tristrans Hand. Nun konnte er das Brennen nicht länger ertragen, und die Kerze erlosch für immer.

KAPITEL 8
     
    Welches von Schlössern in der Luft
    und anderen Dingen handelt
     
     
     
    In den Bergen graute der Morgen. Die Stürme der letzten Tage waren weitergezogen, die Luft war frisch und kalt.
    Lord Septimus von Stormhold, großgewachsen und krähenartig, wanderte den Bergpaß empor, wobei er sich suchend umblickte, als hätte er etwas verloren. Mit sich führte er ein zottiges kleines Bergpony. Als der Paß breiter wurde, blieb er stehen, als hätte er das Gesuchte gefunden: Ein kleiner, ziemlich mitgenommener Zweispänner, wenig größer als ein Ziegenkarren, der auf die Seite gekippt war. Ganz in der Nähe lagen zwei Leichen. Eins war ein Ziegenbock mit blutüberströmtem Kopf. Prüfend trat Septimus mit dem Fuß gegen die tote Ziege, um den Kopf besser sehen zu können; das Tier hatte eine tiefe tödliche Wunde an der Stirn, genau in der Mitte zwischen den Hörnern. Neben dem Ziegenbock lag ein junger Mann, das Gesicht im Tod ebenso dumpf wie es

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