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Sternwanderer

Titel: Sternwanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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Bächen. Nur wenige Leute begegneten ihnen auf der Straße. Wenn es sich ergab, machten sie bei kleinen Farmen halt, wo Tristran den Nachmittag über arbeitete und dafür Essen und Stroh für ein Lager in der Scheune bekam. Manchmal rasteten sie auch in den Städten und Dörfern unterwegs, um sich zu waschen und etwas zu essen – beziehungsweise so zu tun. Wenn sie es sich leisten konnten, nahmen sie auch mal ein Zimmer im örtlichen Gasthaus.
    In der Stadt Simcock-Under-Hill trafen sie auf ein Goblin-Preßkommando, eine Begegnung, die schlimm hätte ausgehen können. Ohne Yvaines Geistesgegenwart und ihre scharfe Zunge wäre Tristran womöglich als Söldner verschleppt worden und hätte den Rest seines Lebens im endlosen unterirdischen Krieg der Goblins mitkämpfen müssen. In Berinhed’s Forest wehrte Tristran mutig einen der großen lohfarbenen Adler ab, der sie beide gerne zu seinem Nest getragen und an seine Jungen verfuttert hätte – und der vor nichts Angst hatte außer vor Feuer.
    In einer Taverne in Fulkeston erntete Tristran große Bewunderung, weil er Coleridges Kubla Khan, den dreiundzwanzigsten Psalm, den Monolog über die Bedeutung der Gnade aus dem Kaufmann von Venedig sowie ein Gedicht über einen Jungen auf einem brennenden Schiffsdeck auswendig aufsagte. All das hatte er sich in der Schule einprägen müssen, und im stillen dankte er Mrs. Cherry, daß sie ihn dazu gezwungen hatte. Doch dann merkte er plötzlich, daß die Einwohner von Fulkeston beschlossen hatten, er müsse für immer bei ihnen bleiben und ihr neuer Barde werden, und so waren er und Yvaine gezwungen gewesen, sich mitten in der Nacht davonzustehlen. Das schafften sie allerdings nur, weil Yvaine die Hunde der Stadt überredete, nicht zu bellen (wie sie das bewerkstelligte, blieb Tristran jedoch ein Rätsel).
    In der Sonne wurde Tristrans Gesicht nußbraun, und seine Kleider nahmen eine rostbraune und staubgraue Färbung an. Yvaine dagegen blieb bleich wie der Mond, und sie hörte auch nicht auf zu hinken, ganz gleich, wie viele Meilen sie zurücklegten.
    Als sie eines Abends am Waldrand kampierten, hörte Tristran etwas, was ihm noch nie zu Ohren gekommen war: eine wunderschöne Melodie, getragen und fremdartig. Sie füllte sein Herz mit Visionen und sein Herz mit Ehrfurcht und Freude. Die Musik ließ ihn an einen Raum ohne Grenzen denken, an riesige Kristallbälle, die unsäglich langsam durch die unermeßlichen Hallen der Lüfte kreisten. Die Melodie hob ihn empor, über sich selbst hinaus.
    Nach einer Zeit, die mehrere Stunden oder auch nur ein paar Minuten hätte sein können, trat Stille ein, und Tristran seufzte. »Das war wunderbar«, sagte er.
    Unwillkürlich verzog sich der Mund der Sternfrau zu einem Lächeln, und ihre Augen strahlten. »Danke«, sagte sie. »Mir war bis jetzt nie nach Singen zumute.«
    »So etwas habe ich noch nie gehört.«
    »In manchen Nächten haben meine Schwestern und ich zusammen gesungen«, sagte sie. »Lieder wie dieses hier, über die Mondfrau, unsere Mutter, über die Natur der Zeit, über die Freude des Leuchtens und die Einsamkeit.«
    »Es tut mir leid«, sagte Tristran.
    »Es braucht dir nicht leid zu tun«, entgegnete sie. »Wenigstens lebe ich noch. Ich hatte Glück, daß ich im Feenland abgestürzt bin. Und wahrscheinlich hatte ich auch Glück, daß ich dir begegnet bin.«
    »Danke«, sagte Tristran.
    »Bitte sehr«, sagte die Sternfrau. Dann seufzte auch sie und starrte durch die Bäume hinauf zum Himmel.
     
     
    * * *
     
    Tristran suchte etwas zum Frühstück. Er hatte ein paar junge Boviste gefunden und einen Pflaumenbaum, der voller lilafarbener Früchte hing, die gereift und fast zu Dörrpflaumen getrocknet waren. Da entdeckte er den Vogel im Unterholz.
    Er versuchte nicht, ihn zu fangen. (Vor ein paar Wochen hatte er nämlich einen schlimmen Schock erlitten, als ein graubrauner Hase, den er als Abendessen ausersehen hatte, ihm um Haaresbreite entwischte, am Waldrand aber innehielt, Tristran einen verächtlichen Blick zuwarf und rief: »Tja, hoffentlich bist du jetzt stolz auf dich.« Dann verschwand er im hohen Gras.) Aber der Vogel faszinierte ihn. Es war ein bemerkenswerter Vogel, groß wie ein Fasan, aber mit Federn in allen Farben: grelle Rottöne, schillerndes Gelb und leuchtendes Blau. Vielleicht hatte er sich aus den Tropen hierher verirrt, denn er wirkte gänzlich fehl am Platz in diesem grünen, farnbewachsenen Wald. Als Tristran sich dem Vogel näherte, zuckte dieser

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