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Sternwanderer

Titel: Sternwanderer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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Diggory’s Dyke gehen und auf sie warten, denn da müssen alle vorbei, die nach Wall wollen.«
    Die Spiegelbilder der beiden alten Frauen glotzten mißbilligend aus dem Tümpel. Die Hexenkönigin fuhr sich mit der Zunge über die Zähne. Der da oben fällt wahrscheinlich noch heute abend raus, dachte sie, so, wie der wackelt. Dann spuckte sie kräftig in die Blutpfütze. Kleine Wellen breiteten sich aus und vertrieben jede Spur der Lilim; jetzt spiegelten sich in der Pfütze nur noch der Himmel über dem Ödland und die fernen weißen Wolken weit über ihnen.
    Die Hexenfrau trat gegen das tote Einhorn, so daß es auf die Seite rollte. Dann nahm sie den Kopf und schleppte ihn mit sich zum Fahrersitz. Dort legte sie ihn neben sich, griff in die Zügel und peitschte die widerspenstigen Pferde zu einem müden Trott.
     
    * * *
    Tristran saß auf der Spitze des Wolkenbergs und fragte sich, warum die Helden der Groschenromane, die er in Wall so begierig verschlungen hatte, nie hungrig waren.
    Sein Magen jedenfalls knurrte, und seine Hand tat schrecklich weh.
    Abenteuer sind ja schön und gut, dachte er, aber es spricht doch einiges für regelmäßige Mahlzeiten und Vermeidung von Schmerzen.
    Trotzdem – er war noch am Leben, der Wind zerzauste ihm die Haare, und die Wolke schwebte über den Himmel wie eine Galeone unter vollen Segeln. Während er so von oben auf die Welt hinabschaute, konnte er sich nicht erinnern, sich jemals so lebendig gefühlt zu haben. Er empfand die Existenz des Himmels so intensiv wie nie und kostete jeden Moment aus, wie er es nie zuvor getan hatte.
    Er erkannte, daß er in gewisser Weise über seinen Problemen stand, so, wie er über der Welt schwebte. Selbst der Schmerz in seiner Hand schien weit weg. Wenn er über seine Erlebnisse und Abenteuer nachdachte, über die Reise, die noch vor ihm lag, so erschien ihm alles auf einmal ganz klein und klar. Er stellte sich hoch oben auf den Wolkenberg und rief mehrmals so laut er konnte: »Hallo!« Obwohl er sich dabei ein wenig albern vorkam, schwenkte er sogar ein paarmal seine Tunika über den Kopf. Dann kletterte er wieder hinunter; drei Meter vom Boden der Wolke entfernt verlor er den Halt und fiel in die neblig-weiche Masse.
    »Warum hast du denn so geschrien?« fragte Yvaine.
    »Damit die Leute merken, daß wir hier sind«, erklärte Tristran.
    »Welche Leute denn?«
    »Man kann nie wissen«, meinte er. »Besser, ich rufe Leute, die nicht da sind, als daß Leute, die da sind, uns nicht bemerken, weil ich nicht gerufen habe.«
    Darauf wußte sie keine Antwort.
    »Ich habe nachgedacht«, sagte Tristran, »und bin auf folgendes gekommen: Wenn wir meine Aufgabe erfüllt haben – also wenn ich dich nach Wall gebracht und Victoria Forester geschenkt habe –, vielleicht könnten wir dann etwas für dich tun.«
    »Für mich?«
    »Naja, du möchtest doch zurück, oder nicht? Wieder hinauf an den Himmel. Nachts leuchten und so. Darum könnten wir uns dann kümmern.«
    Sie blickte zu ihm empor und schüttelte den Kopf. »Wenn ein Stern erst mal vom Himmel gefallen ist, kann er nicht mehr zurück.«
    »Du könntest die erste sein, der das gelingt«, entgegnete er. »Aber du mußt daran glauben. Sonst passiert es nicht.«
    »Das wird es sowieso nicht«, beharrte sie. »Genausowenig wie dein Geschrei jemanden auf uns aufmerksam machen wird hier oben, wo sowieso niemand hinkommt. Es spielt keine Rolle, ob ich es glaube oder nicht, so ist es eben. Wie geht’s deiner Hand?«
    »Tut weh«, antwortete er achselzuckend. »Aber nicht mehr ganz so schlimm.«
    »Ahoi!« erscholl da plötzlich eine Stimme von oben. »Ahoi da unten! Braucht ihr Hilfe?«
    Über ihnen schimmerte golden ein kleines Schiff im Sonnenlicht, mit geblähten Segeln, und ein rotes Gesicht mit Schnurrbart spähte über den Rand zu ihnen herunter. »Warst du das, junger Mann, der da eben so rumgehüpft und rumgesprungen ist?«
    »Ja«, antwortete Tristran. »Und ich glaube, wir brauchen tatsächlich Hilfe, ja.«
    »In Ordnung«, sagte der Mann. »Dann macht euch bereit für die Leiter.«
    »Meine Freundin hat leider ein gebrochenes Bein«, rief Tristran, »und ich hab’ mir die Hand verletzt. Ich glaube kaum, daß wir eine Leiter hochklettern können.«
    »Kein Problem. Wir ziehen euch hoch.« Mit diesen Worten ließ er eine lange Strickleiter zu ihnen herab. Tristran fing sie mit seiner heilen Hand auf und hielt sie fest, während Yvaine sich mühsam ein paar Stufen hochhangelte. Dann stellte

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