Sternwanderer
er sich hinter sie aufs Ende der Leiter. Nun verschwand das rote Gesicht, und Tristran und Yvaine baumelten unbeholfen am Ende der Leiter.
Der Wind erfaßte das Luftschiff, so daß die Leiter von der Wolke hochgezogen wurde und Tristran und Yvaine sich langsam in der Luft drehten.
»Los geht’s – hebt an!« riefen mehrere Stimmen gleichzeitig, und Tristran spürte, wie er und Yvaine sich mehrere Fuß in die Lüfte erhoben. »Hebt an! Hebt an! Hebt an!« Mit jedem Ruf wurden sie ein wenig höher gezogen. Inzwischen war die Wolke, auf der sie gesessen hatten, nicht mehr unter ihnen; statt dessen tat sich zu ihren Füßen ein Abgrund auf, den Tristran auf etwa eine Meile schätzte. Er hielt das Seil ganz fest, den Ellbogen über seiner verletzten Hand sicher in die Strickleiter gehakt.
Noch ein Ruck nach oben, und Yvaine befand sich auf Höhe der Schiffsreling. Jemand hob sie behutsam darüber und stellte sie aufs Deck, dann kletterte auch Tristran ins Schiff.
Der rotbackige Mann streckte ihnen die Hand entgegen. »Willkommen an Bord«, sagte er. »Dies ist das Freie Schiff Perdita, unterwegs auf Blitzjagd-Expedition. Kapitän Johannes Alberic, stets zu Diensten.« Er hustete tief in der Brust. Ehe Tristran antworten konnte, erspähte der Kapitän die verletzte Hand und rief: »Meggot! Meggot! Verflixt, wo steckst du denn? Hierher! Da sind Passagiere, die versorgt werden müssen. Komm, mein Junge, Meggot wird sich um deine Hand kümmern. Wir essen um sechs Glasen. Ihr sitzt an meinem Tisch.«
Kurz darauf erschien eine etwas aufgedrehte Frau mit einer roten, einem Wischmop nicht unähnlichen Mähne – Meggot – und begleitete sie unter Deck, wo sie eine dicke grüne Salbe auf Tristrans Hand strich, die angenehm kühlte und den Schmerz deutlich linderte. Dann wurden sie in die Messe geführt, einen kleinen Speisesaal neben der Küche, die zu Tristrans großer Freude tatsächlich wie in seinen Groschenromanen »Kombüse« genannt wurde.
Sie nahmen am Tisch des Kapitäns Platz; allerdings befanden sich gar keine anderen Tische in der Messe. Außer dem Kapitän und Meggot gab es noch weitere fünf Besatzungsmitglieder, ein buntes Häufchen, das die Konversation gern Kapitän Alberic überließ, wozu dieser nicht lange gebeten werden mußte. Den Bierhumpen in der einen Hand, in der anderen abwechselnd die kurze Pfeife oder den gefüllten Löffel, plauderte er munter daher.
Die Mahlzeit bestand aus einer dicken Suppe mit Gemüse, Bohnen und Gerste; Tristran fühlte sich gesättigt und zufrieden. Zu trinken gab es das klarste, kälteste Wasser, das er je geschmeckt hatte.
Der Kapitän stellte keine Fragen, wie sie auf die Wolke gekommen waren, und Tristran und Yvaine gaben von sich aus auch keine Erklärungen ab. Tristran bekam die Koje neben Oddness, dem ersten Maat, einem ruhigen Zeitgenossen mit großen Flügeln, der furchtbar stotterte, während Yvaine in Meggots Kabine untergebracht wurde und Meggot in eine Hängematte umzog.
Während seiner weiteren Reise durch das Feenland erwischte Tristran sich oft dabei, daß er sich an seine Zeit auf der Perdita als eine der glücklichsten Zeiten seines Lebens erinnerte. Die Besatzung ließ ihn beim Segelsetzen helfen, und gelegentlich durfte er sogar das Steuerrad bedienen. Manchmal segelte das Schiff über dunklen, berghohen Gewitterwolken dahin. Dann fischte die Besatzung mit einer kleinen Kupferkiste nach Blitzen. Regen und Wind wuschen das Schiffsdeck sauber, und Tristran lachte oft laut vor Vergnügen, wenn ihm der Regen übers Gesicht rann, und er hielt sich mit seiner unversehrten Hand in der Seilreling fest, damit der Sturm ihn nicht über Bord beförderte.
Meggot, die ein wenig größer und dünner war als Yvaine, hatte ihr ein paar Kleider geliehen, welche die Sternfrau voller Erleichterung trug. Sie freute sich über die Abwechslung und zog jeden Tag ein anderes an. Bisweilen kletterte sie trotz des gebrochenen Beins auf die Galionsfigur hinaus, wo sie lange saß und die Welt unter sich betrachtete.
* * *
»Wie geht es deiner Hand?« fragte der Kapitän.
»Viel besser, danke«, sagte Tristran. Zwar glänzte die narbige Haut, und er hatte kaum Gefühl in den Fingern, aber dank Meggots Salbe waren die Schmerzen so gut wie weg, und der Heilungsprozeß ging ungleich schneller voran. Nun saß er auf Deck, ließ die Beine über die Seite baumeln und sah hinaus.
»In einer Woche werfen wir Anker, um Vorräte und ein wenig Fracht aufzunehmen«,
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