Sternwanderer
ängstlich zusammen, fing an, ungeschickt umherzuhüpfen und stieß laute Klagelaute aus.
Tristran ging auf die Knie und redete ihm beruhigend zu. Dann streckte er die Hand nach dem Vogel aus. Dessen Notlage war eindeutig: Am Fuß des Vogels war eine silberne Kette befestigt, die sich in einem Wurzelfortsatz verfangen hatte; da hing der Vogel nun fest und kam nicht mehr von der Stelle.
Behutsam entwirrte Tristran die Silberkette, während er mit der linken Hand das Gefieder des Vogels streichelte. »Da haben wir’s«, sagte er. »Du kannst heimfliegen.« Doch der Vogel machte keine Anstalten, sich zu entfernen. Statt dessen starrte er Tristran mit schiefgelegtem Kopf ins Gesicht. »Hör mal«, sagte Tristran, der sich seltsam und etwas gehemmt fühlte, »wahrscheinlich wartet irgendwo irgend jemand auf dich.« Damit bückte er sich und wollte den Vogel hochheben.
Da traf ihn ein Schlag; obwohl er still gestanden hatte, war es ein Gefühl, als wäre er gegen eine unsichtbare Mauer gerannt. Er taumelte und wäre beinahe umgefallen.
»Dieb!« rief eine heisere Stimme. »Ich verwandle deine Knochen zu Eis und röste dich im Feuer. Ich kratz’ dir die Augen aus und binde das eine an einen Hering und das andere an eine Möwe, damit der Anblick von Meer und Himmel dich in den Wahnsinn treibt! Ich verwandle deine Zunge in einen Wurm und deine Finger in Rasiermesser, und Feuerameisen sollen deine Haut kitzeln, und wenn du dich kratzt…«
»Es besteht keine Notwendigkeit, Euch weiter so aufzuregen«, sagte Tristran zu der alten Frau. »Ich wollte Euren Vogel nicht stehlen. Seine Kette hatte sich an einer Wurzel verfangen, und ich habe ihn gerade befreit.«
Argwöhnisch glotzte sie ihn unter ihren grauen Wuschelhaaren an. Dann schlurfte sie näher heran und hob den Vogel auf. Sie hielt ihn hoch, flüsterte ihm etwas zu, und er antwortete mit einem seltsamen musikalischen Zwitschern. Die alte Frau kniff die Augen zusammen. »Nun, vielleicht ist an dem, was du sagst, tatsächlich ein Körnchen Wahrheit«, räumte sie äußerst widerwillig ein.
»Es ist die volle Wahrheit«, erwiderte Tristran, aber die alte Frau und ihr Vogel hatten die Lichtung schon halbwegs überquert; also sammelte er seine Boviste und seine Pflaumen und ging zurück zu der Stelle, wo Yvaine auf ihn wartete.
Sie saß neben dem Weg und rieb sich die Füße. Die Hüfte tat ihr weh, ihr Bein ebenfalls, und ihre Füße wurden von Tag zu Tag empfindlicher. Manchmal hörte Tristran sie nachts leise vor sich hin weinen. Er hoffte, die Mondfrau würde ihnen noch ein Einhorn schicken, wußte aber, daß dies höchst unwahrscheinlich war.
»Also das war wirklich seltsam«, sagte Tristran zu Yvaine. Dann erzählte er ihr, was er gerade erlebt hatte, in der festen Überzeugung, damit sei die Sache erledigt.
Natürlich irrte er sich. Etliche Stunden später wanderten Tristran und die Sternfrau den Waldweg entlang, als sie von einem bunt bemalten Zigeunerwagen überholt wurden, der von zwei grauen Maultieren gezogen wurde. Vorn saß die alte Frau, die gedroht hatte, Tristrans Knochen in Eis zu verwandeln. Als sie die beiden sah, zügelte sie die Maultiere und winkte Tristran mit ihrem knochigen Finger zu sich. »Komm her junge«, sagte sie.
Vorsichtig näherte er sich. »Ja, Ma’am?«
»Sieht aus, als müßte ich mich bei dir entschuldigen«, sagte sie. »Offenbar hast du die Wahrheit gesagt. Ich hab’ voreilige Schlüsse gezogen.«
»Ja«, antwortete Tristran.
»Laß mich dich ansehen«, sagte sie und stieg auf den Weg herab. Ihr kalter Finger berührte Tristran unter dem Kinn und zwang ihn, den Kopf zu heben. Seine nußbraunen Augen starrten in ihre alten grünen Augen. »Du siehst einigermaßen ehrlich aus«, stellte sie fest. »Du kannst mich Madame Semele nennen. Ich bin unterwegs nach Wall, zum Markt. Ich hab’ mir gedacht, ich könnte gut einen Jungen für meinen kleinen Blumenstand brauchen – ich verkaufe Glasblumen, weißt du, die hübschesten, die du je zu Gesicht bekommen hast. Du wärst ein feiner Marktjunge, und ich könnte dir einen Handschuh für deine kaputte Hand geben, damit du die Kunden nicht vergraulst. Was sagst du dazu?«
Tristran überlegte. »Entschuldigt mich einen Moment«, sagte er schließlich und ging zu Yvaine, um sich mit ihr zu beraten. Zusammen kamen sie zu der alten Frau zurück.
»Guten Tag«, sagte die Sternfrau. »Wir haben über Euer Angebot gesprochen und denken, daß…«
»Nun?« drängte Madame Semele, den
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