Sternwanderer
verwerfen, weil sie nicht praktikabel war. Des weiteren zog er in Erwägung, einen Kalkfelsen vom Hügel auf ihr kleines Haus rollen zu lassen, aber da konnte er nicht sicher sein, ob er sie wirklich erwischte. Er wünschte sich, er wäre ein Zauberer – zwar besaß er etwas von dem Orientierungstalent, das in seiner Familie verbreitet war, und beherrschte ein paar kleine Zaubertricks, die er sich im Lauf der Jahre angeeignet oder irgendwo abgekupfert hatte. Aber nichts von dem konnte ihm jetzt nützlich sein, jetzt, da er eine Flut oder einen Hurrikan oder einen Blitzschlag gebraucht hätte. So beobachtete Septimus denn sein zukünftiges Opfer wie die Katze das Mauseloch, Stunde um Stunde, bei Tag und bei Nacht.
Es war schon nach Mitternacht, mondlos und dunkel, als Septimus schließlich zum Eingang der Hütte schlich, in der einen Hand einen Feuertopf und in der anderen ein Buch mit romantischen Gedichten und ein Drosselnest, in das er eine Anzahl Tannenzapfen gelegt hatte. An seinem Gürtel hing ein Eichenknüppel, die Keule mit Messingnägeln beschlagen. Er horchte an der Tür, konnte aber nichts hören außer rhythmischem Atmen und hie und da einem schläfrigen Grunzen. Seine Augen waren an die Dunkelheit gewöhnt, und die Hütte hob sich deutlich vor dem weißen Kalkstein des Dyke ab. Er schlich sich auf die Seite des Häuschens, von wo er die Tür im Auge behalten konnte.
Zuerst riß er die Seiten aus dem Gedichtband und zerknüllte jedes Gedicht zu einer Papierkugel; dann steckte er diese ganz unten zwischen die Zweige. Auf die Gedichte legte er die Tannenzapfen. Als nächstes öffnete er den Feuertopf, löste mit der Messerspitze eine Handvoll gewachster Leinenstreifen vom Deckel, tunkte diese in die glühende Asche auf dem Boden des Topfs, und als sie hell brannten, plazierte er sie auf die Papierknäuel und die Zapfen und blies in die flackernden gelben Flämmchen, bis die geschichteten Zweige Feuer fingen. Nun fügte er trockene Zweige von seinem Vogelnest hinzu, und bald brannte es lichterloh. Das trockene Holz der Hüttenwand begann zu qualmen, so daß Septimus ein Husten unterdrücken mußte, dann fingen auch sie Feuer, und er lächelte zufrieden.
Er kehrte zum Hütteneingang zurück und hob den Knüppel. Denn, so hatte er sich überlegt, entweder wird die Alte mit ihrer Hütte verbrennen, wodurch meine Aufgabe erledigt ist, oder sie riecht den Qualm, wacht auf und stürzt panisch ins Freie, woraufhin ich ihr meinen Knüppel über den Kopf schlage, ehe sie auch nur ein Wort herausbringt. In beiden Fällen ist sie tot, und ich habe meinen Bruder gerächt.
»Ein guter Plan«, meinte Tertius im Knistern des trockenen Holzes. »Und wenn er sie getötet hat, kann er die Suche nach der Macht von Stormhold fortsetzen.«
»Wir werden ja sehen«, meinte Primus, und seine Stimme war wie das Klagen eines fernen Nachtvogels.
Flammen leckten an dem kleinen Holzhäuschen, wurden größer und loderten mal gelb, mal orange.
Niemand erschien an der Hüttentür. Bald hatte sich die Behausung in ein brennendes Inferno verwandelt, und Septimus war gezwungen, ein paar Schritte zurückzutreten, weg von der allergrößten Hitze. Er grinste breit und triumphierend und ließ den Knüppel sinken.
Auf einmal spürte er einen stechenden Schmerz in der Ferse. Blitzschnell drehte er sich um und sah eine kleine, glutäugige Schlange, blutrot im Feuerschein, die ihre Fänge tief in seinen Lederstiefel geschlagen hatte. Er zielte mit dem Knüppel auf das Tier, aber die kleine Kreatur ließ seine Ferse rechtzeitig los und schlängelte sich flink hinter einen weißen Kalkfelsen.
Allmählich ließ der Schmerz wieder nach. Wenn das eine Giftschlange war, hat das Leder sicher das meiste Gift aufgesaugt. Ich werde mein Bein an der Wade abbinden, dann ziehe ich den Stiefel aus, mache einen kreuzförmigen Einschnitt an der Bißstelle und sauge das Gift aus. Mit diesen Gedanken setzte er sich auf einen Kalkfelsen ins Feuerlicht und wollte den Stiefel ausziehen. Aber er saß fest. Der Fuß war taub, vermutlich schwoll er rapide an. Dann muß ich den Stiefel eben aufschneiden, dachte Septimus, und schon hob er den Fuß auf Schenkelhöhe. Einen Augenblick lang meinte er, ein Schatten hätte sich über ihn gelegt, dann sah er, daß die Flammen, die den Dyke wie ein Freudenfeuer erleuchtet hatten, verschwunden waren. Ihm war kalt bis ins innerste Mark.
»So«, sagte eine Stimme hinter ihm, sanft wie eine Würgeschlinge aus Seide, süß
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