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Stevens, Chevy

Stevens, Chevy

Titel: Stevens, Chevy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Still Missing
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verschließe alle Türen, lasse alle Jalousien runter und versperre jedes
Fenster. Dann nehme ich ein Bad und rasiere meine Beine - zuerst das linke,
dann das rechte, zum Schluss die Achseln.
    Wenn ich
mit dem Baden fertig bin, creme ich mich überall mit Lotion ein, und ehe ich
endlich ins Bett gehe, überprüfe ich noch einmal die Türen und Fenster, stelle
leere Dosen vor die Tür und kontrolliere zweimal, ob der Alarm eingeschaltet
ist - die Dosen sind für den Fall da, dass der Alarm ausfällt. Zum Schluss
vergewissere ich mich, dass das Messer unterm Bett liegt und das Pfefferspray
auf dem Nachttisch steht.
    Viele
Nächte, in denen ich versuche, in meinem Bett zu schlafen, liege ich nur da und
lausche auf das kleinste Geräusch, bis ich aus dem Bett und zum Schrank
krieche und dabei die Decke hinter mir herziehe - ich krieche, für den Fall,
dass jemand durch die Fenster späht. Dann quetsche ich mich hinein und baue die
Schuhe so auf, dass sie vor mir stehen.
    Letztes
Mal sagten Sie, mein fester Ablauf gebe mir vermutlich ein Gefühl von
Sicherheit ... Mir sind diese ach so beiläufigen »Vielleicht sollten Sie mal
darüber nachdenken« und »Haben Sie schon einmal erwogen ...« sehr wohl aufgefallen.
Solange Sie nicht anfangen, mir einen Haufen Fragen an den Kopf zu werfen, ist
es okay. Aber ich schwöre Ihnen, wenn Sie mich jemals fragen, wie ich mich
fühle, werden Sie diese Frage meinem Rücken stellen, denn dann bin ich in null
Komma nichts weg, und zwar für immer.
    Also,
diese Routine ... Zuerst dachte ich, Sie würden vollkommen falschliegen, aber
ich habe mir das mal genauer durch den Kopf gehen lassen, und ich schätze,
durch meine Zubettgeh-Rituale fühle ich mich tatsächlich sicherer - was,
gelinde gesagt, ziemlich paradox ist. Ich meine, die ganze Zeit, als ich da
oben war, war ich nie sicher. Es war wie eine Achterbahnfahrt durch die Hölle,
mit dem Teufel am Kontrollschalter, aber ich konnte mich immerhin darauf
verlassen, dass sich diese Routine nicht änderte.
    Jeden Tag
wage ich mich ein Stück weiter vor, und manche Macken sind leichter
abzuschütteln als andere, aber bestimmte Dinge? Keine Chance. Gestern Abend
habe ich vier Liter Tee getrunken und fast eine Stunde auf dem Klo gehockt,
zumindest fühlte es sich an wie eine Stunde, und versuchte mich dazu zu
zwingen, außerplanmäßig zu pinkeln. Beinahe hätte ich ein paar Tröpfchen
rausgequetscht - ich war schon ganz nah dran, ja, ja, ich werde pinkeln! -,
aber dann verkrampfte sich meine Blase wieder. Das einzige Ergebnis dieses
Experiments war eine weitere schlaflose Nacht.
    In diesem
Sinne, für heute habe ich genug. Ich muss nach Hause und pinkeln, und nein, ich
möchte Ihre Toilette nicht benutzen. Ich würde nur dasitzen, daran denken, dass
Sie hier sind, und mich fragen, ob Sie sich fragen, ob ich wohl pinkeln kann.
Nein, danke.
     
    5. Sitzung
     
    Auf dem
Weg hierher habe ich bei dem Coffeeshop an der Abzweigung zu Ihrer Straße
angehalten. Sieht von außen ja ziemlich schmuddelig aus, hat aber superleckeren
Kaffee, allein deswegen lohnt sich der Weg in die Stadt. Ich bin mir nicht
sicher, was Sie da in Ihrem Becher haben - womöglich ist es ja sogar Scotch -,
aber ich habe Ihnen einfach mal einen Tee mitgebracht. Irgendetwas müssen Sie
ja davon haben, wenn Sie den Tag mit mir beenden.
    Übrigens,
mir gefällt dieser klobige Silberschmuck, den Sie immer tragen. Er passt zu
Ihrem Haar und lässt Sie wie eine coole Oma aussehen. Eine von denen, die noch
Sex haben und denen es immer noch gefällt. Keine Sorge, ich bin nicht scharf
auf Details - ich weiß, dass Therapeuten nicht gerne über ihr Leben reden, und
ich bin zurzeit ohnehin viel zu egozentrisch, um Ihnen zuzuhören.
    Vielleicht
gefällt mir Ihr Schmuck, weil er mich an meinen Dad erinnert. Das würde auch
dazu passen, dass ich gerade so ichbezogen bin. Nicht dass er viel Schmuck
getragen hätte, aber er hatte diesen Claddagh-Ring von seinem Vater. Die Eltern
von meinem Dad stammten aus Irland, sie sind hierhergekommen und haben ein
Juweliergeschäft eröffnet. Der Ring war das Einzige, das ihm von ihnen blieb,
als sie kurz nach der Hochzeit meiner Eltern bei einem Brand ums Leben kamen -
alles andere hat die Bank sich unter den Nagel gerissen. Nach dem Unfall habe
ich Mom nach dem Ring gefragt, aber sie sagte, er sei verloren gegangen.
    Ich male
mir gerne aus, dass mein Vater, wenn er noch gelebt hätte, alles getan hätte,
um mich zu befreien, obwohl ich keine Ahnung

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