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Stevens, Chevy

Stevens, Chevy

Titel: Stevens, Chevy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Still Missing
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und jedes Mal,
wenn wir miteinander reden, reißen die Nähte und die Wunde wieder auf, und ich
muss sie wieder zusammennähen.
    Am
schlimmsten von allem ist, dass ich mir durch seine Freundlichkeit noch
bescheuerter vorkomme, denn meine größte Angst ist, dass er mich anfassen
könnte, wenn wir uns wiedersehen. Allein beim Gedanken daran
breche ich in Schweiß aus. Und so reagiere ich von allen Männern ausgerechnet
auf Luke? Luke, der Spinnen aus meiner Spüle gerettet und sie nach draußen
getragen hat? Das ist mehr als lächerlich. Wenn ich es nicht einmal schaffe,
mich in Gegenwart eines Menschen wie Luke wohl zu fühlen, dann bin ich echt
vollkommen im Arsch. Dann kann ich genauso gut meinen Kram einpacken und in die
Penthouse-Suite im Hotel Wahnsinn ziehen.
     
    15. Sitzung
     
    Noch
einmal danke, dass Sie akzeptiert haben, dass ich beim letzten Mal nicht über
den Berg reden wollte. Die letzte Woche war die Hölle, und ich weiß nicht, ob
ich heute darüber reden kann - ich muss sehen, wie ich mich fühle. Meine Trauer
gleicht einem Sturm. Manchmal kann ich darin aufrecht stehen, und wenn ich
wütend bin, kann ich mich ihm sogar entgegenstemmen und ihn herausfordern,
mich umzuwehen. Zu anderen Zeiten muss ich mich hinkauern und klein machen und
ihn auf meinen Rücken einhämmern lassen. In letzter Zeit bin ich meistens im
Hinkauer-Modus.
    Zum
Teufel, vermutlich brauchen Sie selbst eine Pause - verdammt deprimierend, der
ganze Mist, was? Ich wünschte, ich könnte Ihnen glückliche Geschichten
erzählen oder Sie zum Lächeln bringen, indem ich etwas Geistreiches sage. Wenn
ich von hier weggehe, habe ich immer ein schlechtes Gewissen, weil Sie sich
meinen ganzen Scheiß anhören mussten - ich fühle mich so egoistisch. Aber nicht
genug, um etwas daran zu ändern. Dieser Scheiß macht mich egoistisch.
Meine Traurigkeit ist berechtigt.
    Als ich zu
Ihnen kam, sagte ich, dass ich ein paar Gründe hatte, um es noch einmal mit
einer Therapie zu versuchen, aber ich habe Ihnen nie erzählt, was diese
Danke-ich-komme-sehr-gut-allein-zurecht-Blase hat platzen lassen, in der ich
schwebte.
    Es passierte
in einem Supermarkt. Ich bin nur spätabends mit einer Baseballkappe auf
einkaufen gegangen und hatte sogar überlegt, nur noch übers Internet zu
bestellen, aber wer weiß, wen sie losschicken, um die Bestellungen auszuliefern,
und ich hatte die Schnauze voll von Reportern, die jeden Trick benutzen, um in
mein Haus zu kommen. Wie dem auch sei, eine Frau bückte sich und holte etwas
aus dem untersten Regal. Nicht weiter merkwürdig, außer dass ihr Kinderwagen
ein paar Meter von ihr entfernt stand, unbeaufsichtigt und mit einem Baby
darin. Ich versuchte, einfach vorbeizugehen, versuchte, nicht auf die kleinen
weißen Zähne des Mädchens oder auf ihre rosigen Wangen zu starren, doch als
ich vorbeiging, streckte sie ihren winzigen Arm nach mir aus, und ich blieb
stehen. Wie von einem Magneten angezogen, bewegten sich meine Füße auf sie zu
und streckte ich meine Hand aus. Ich wollte diese winzige Hand berühren, nur
für eine Sekunde! Das war alles, was ich brauchte, sagte ich mir, nur eine
Sekunde. Aber die Hand des Kinds umklammerte meinen ausgestreckten Finger, und
es gluckste, als es zudrückte. Als sie das Giggeln hörte, sagte ihre Mutter:
»Samantha, hier bin ich, Mommy ist gleich wieder da.«
    Samantha,
ihr Name war Samantha. Er hallte in meinem Kopf wider, und ich wollte dieser
Frau, die sich hingekniet hatte, um, wie ich jetzt sah, Gläser mit Babynahrung
auszuwählen, erzählen, dass ich auch ein Baby hatte, und zwar das schönste
Baby, das man je gesehen hatte. Aber dann würde sie mich fragen, wie alt mein Baby
sei, und ich wollte nicht sagen, dass es tot ist, und mitkriegen, wie die Frau
ihre Tochter erleichtert und dankbar ansah, weil es nicht ihr Kind war, und
dann würde ich in ihrem Blick die Gewissheit sehen - die unerschütterliche
Gewissheit einer Mutter -, dass ihrer Tochter niemals so etwas
Schreckliches widerfahren würde.
    Als ich
versuchte, meinen Finger wegzuziehen, drückte Samantha noch fester zu, und an
ihrem Mund bildete sich ein winziges Speichelbläschen. Meine Nase nahm ihren
Geruch auf - Babypuder, Windeln und das leicht süßliche Aroma von Milch. Ich
wollte sie. Meine Hände brannten darauf, sie aus dem Sitz zu heben, auf den Arm
zu nehmen und in mein Leben zu holen.
    Verstohlen
sah ich mich nach beiden Seiten im Gang um - leer -, und mein Verstand
arbeitete auf Hochtouren, um zu

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