Stich ins Herz - Robb, J: Stich ins Herz - Origin in Death (Death 21)
Todesdaten ihrer Eltern und dass Icove bereits vor ihrem sechsten Geburtstag ihr Vormund geworden war.
Von der ersten bis zur zwölften Klasse hatte Avril die Brookhollow-Akademie in Spencerville, New Hampshire, und im Anschluss das daran angeschlossene Brookhollow College absolviert.
Dann hatte also der freundliche Doktor sie sofort auf ein Internat geschickt. Wie hatte sie das wohl gefunden, überlegte Eve. Sie verliert die Mutter … wo hatte die Kleine überhaupt gesteckt, während ihre Mami irgendwo in … wo? Genau, in Afrika tätig gewesen war? Wer hatte sich um das Kind gekümmert, während seine Mutter auf einem fremden Kontinent Leben gerettet hatte, ehe ihr eigenes Leben dort verloren gegangen war?
Und kaum verliert das Mädchen seine Mutter, wird es in ein Internat gesteckt.
Lebende Verwandte gab es nicht. Sie hatte wirklich Pech. Genau wie sie selbst waren auch ihre Eltern Einzelkinder gewesen, und die Großeltern waren gestorben, ehe sie auch nur auf die Welt gekommen war. Auch irgendwelche Tanten, Onkel, Cousins oder Cousinen wenigstens zweiten Grades waren nirgendwo vermerkt.
Seltsam, dachte Eve. Fast jeder hatte irgendwo Verwandte. Auch wenn die Verwandtschaft um ein paar Ecken ging.
Sie hatte keinen Menschen, aber schließlich gab es Ausnahmen von jeder Regel, überlegte Eve.
Himmel, sie brauchte nur zu gucken, wie es Roarke ergangen war. Er hatte fast sein Leben lang gedacht, er wäre ganz alleine auf der Welt, und dann waren mit einem Mal genug Verwandte von ihm aufgetaucht, um eine kleine Ortschaft zu bevölkern.
Aber Avrils Akte gab nicht den geringsten Hinweis darauf, dass es neben ihren beiden Kindern noch irgendwelche anderen Blutsverwandten gab.
Dann war sie also mit beinahe sechs Jahren auf tragische Art verwaist, und Icove, ihr rechtmäßiger Vormund, schob sie einfach in eine, wenn auch sicher teure, Schule ab. Wahrscheinlich hatte der viel beschäftigte Chirurg bereits genug mit der Erschaffung seines eigenen Denkmals und mit der Erziehung seines eigenen, damals siebzehnjährigen Kindes zu tun gehabt.
Heranwachsende Jungen hatten die Gewohnheit, regelmäßig in Schwierigkeiten zu geraten, Schwierigkeiten zu machen, selbst schwierig zu sein. Doch die Weste von Dr. Will schien genauso blütenweiß wie die seines Vaters gewesen zu sein.
Die arme Avril hatte sechzehn Jahre ihres Lebens in derselben Schule zugebracht, was Eve ähnlich fürchterlich wie eine langjährige Haftstrafe erschien. Wobei sie natürlich nicht vergessen durfte, dass vielleicht nicht für jeden Schule gleichbedeutend mit Gefängnis war. Nachdenklich trank Eve einen Schluck ihres Kaffees.
Sie selbst hatte die Zeit in der Schule abgesessen, bis sie endlich an ihrem angenommenen achtzehnten Geburtstag dem System hatte entkommen können, in das sie, nachdem man sie in einer Gasse in Dallas aufgelesen hatte, verfrachtet worden war.
Direkt im Anschluss an die Schule hatte sie sich an der Polizei-Akademie beworben, wo sie ebenfalls Teil des Systems gewesen war. Doch das System hatte sie selbst gewählt. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie etwas selbst gewählt.
Hatte Avril jemals eine Wahl gehabt?
Sie hatte als Hauptfach Kunst studiert und als Nebenfächer Hauswirtschaft und Theaterwissenschaft. Sofort nach ihrem Abschluss hatte sie Wilfred B. Icove junior geehelicht, für den es offenbar trotz seines Alters von fast Mitte dreißig ebenfalls die erste offizielle Partnerschaft gewesen war.
Am besten fragte sie Nadine, ob in den Archiven ihres Senders nicht irgendeine Story über eine skandalöse oder ernsthafte Beziehung des jungen, reichen Arztes zu finden war.
Offiziell gearbeitet hatte Avril offenkundig nie. Gleich nach der Geburt des ersten Kindes hatte sie den Antrag auf Anerkennung als professionelle Mutter eingereicht.
Auch straffällig geworden war sie nie.
Eve hörte das leise Zischen luftgepolsterter Schuhe und trank den nächsten Schluck Kaffee, als Peabody den Raum betrat.
»A vril Icove«, sagte Eve. »W ie schätzen Sie sie ein?«
»O h, verdammt, wird das vielleicht ein Ratespiel?« Peabody ließ ihre Tasche fallen, kniff die Augen zusammen und fing mit nachdenklicher Stimme an. »S chick, zurückhaltend und unglaublich beherrscht. Wohlerzogen, weiß sich zu benehmen und ist, wie es aussieht, sehr korrekt. Angenommen, das Haus ist ihr Herrschaftsbereich – eine naheliegende Vermutung, denn schließlich war er ein viel beschäftigter Arzt, wohingegen sie als professionelle Mutter
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