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Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman

Titel: Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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noch nie so reden hören. Sie stieß ihn ab, er mochte Pathos nicht, vor allem nicht, wenn er damit
     unter Druck gesetzt werden sollte. »Was ich im Büro tue, geht euch nichts an«, erklärte er tonlos.
    Jeanne wischte sich die Tränen ab, zog die Nase hoch und erklärte mit fester Stimme: »Wie du meinst. Dann mußt du allerdings
     auch die Folgen aushalten.« Sie stand auf und ging, ohne ihn anzusehen, hinaus.
    An diesem Abend hatte Lamartine nicht einmal mehr Lust auf seine Zeitung. Die Tür zum Schlafzimmer fand er verschlossen. Er
     schlief im Sessel im Wohnzimmer und wachte schon gegen halb sechs Uhr morgens auf. Bis sieben Uhr saß er am Fenster und sah
     in die Dämmerung hinaus. Als er Schritte im Flur hörte, verließ er ungewaschen das Haus und eilte in sein Büro.
     
    Stieber saß zusammengesunken auf dem schmalen Besucherstuhl neben dem Aktenschrank. Er schien eingenickt zu sein. Sobald Lamartine
     die Tür hinter sich geschlossen hatte, sprang der Deutsche auf. »Ich dachte, wenn ich warte, bis Sie mich aufsuchen, werden
     wir nie zusammenkommen, Monsieur Lamartine.«
    Lamartine fühlte sich überfahren. Er ging an Stieber vorbei, zog seinen Überzieher aus und hängte ihn in den Schrank.
    »Ich hoffe doch sehr, Sie nicht zu stören!« beteuerte Stieber.
    Lamartine nahm es dem Deutschen übel, daß er schon einen Tag nach ihrem ersten Zusammentreffen im Kriegsministerium ins Präsidium
     kam, so daß alle sehen konnten, mit wem Lamartine neuerdings Kontakt hatte. Er hätte dem deutschen Kollegen mehr Taktgefühl
     zugetraut. Der Inspektor nahm Platz und rieb sich den Schlaf aus dem Gesicht.
    »Was führt Sie zu mir?« Er gab sich Mühe, reserviert zu klingen.
    »Der Tote aus dem Bois de Boulogne. Ich habe gestern noch Erkundigungen eingezogen. Alle Ihre Annahmen haben sich bestätigt:
     Franc war in dem Restaurant angestellt, und das Haus wird insgeheim von Lecoq geführt. Der Tote gehörte zu einer Gruppe von
     Partisanen, die die Politische Polizei als geheime Mitarbeiter angeworben hat. Sie sollen nach dem Waffenstillstand im Untergrund
     für Lecoq weiterarbeiten   ... Als Saboteure und Attentäter.«
    »Hatte Franc Ihnen das nicht längst erzählt?« fragte Lamartine bitter.
    Stieber zögerte einen Moment, dann antwortete er etwas verärgert: »Franc war kein Verräter, er war ein Patriot, der sich im
     Interesse Frankreichs zu einer Zusammenarbeit mit den deutschen Behörden entschlossen hat.«
    »Was meinen Sie mit Zusammenarbeit?«
    »Nicht alle Partisanen sind Halsabschneider. Es gibt unter ihnen auch Leute, die nur vorübergehend in die Wälder gegangen
     sind und nun wieder in ihre ehrbaren Berufe zurückkehren.«
    »Was könnte Ihnen ein Hilfskoch nutzen, Herr Stieber?«
    »Wir sind beim Aufbau unserer neuen Verwaltung auf jeden intelligenten Menschen, der guten Willens ist, angewiesen.«
    »Franc wollte also in Ihre Verwaltung. Mir scheint er nicht gerade der geborene Verwaltungsmensch gewesen zu sein.«
    »Er wollte als echter Patriot eben verhindern, daß Kriegsgewinnler nach unserem Abzug wieder die wichtigen Positionen besetzen.
     Im übrigen war Franc ein Monarchist. Die Kommune war ihm widerwärtiger als die Deutschen. Schließlich sind unsere Soldaten
     die einzigen, die Frankreich noch vor der Anarchie retten können   ... Franc wußte das sehr gut, und er hat danach gehandelt.«
    Lamartine überlegte. Vielleicht hatte Stieber recht. Den Partisanen traute er keine Sympathien für die Aufständischen zu.Die Männer hatten für das französische Kaiserreich ihr Leben riskiert, sie ließen sich nicht ohne weiteres für eine Gesellschaft
     der Gleichen und für die Revolution einspannen, sie würden sich mit Zähnen und Klauen wehren – vielleicht sogar an der Seite
     ihres alten Feindes, schließlich stand ihnen der deutsche Kaiser näher als die Erste Kommunistische Internationale, die von
     London aus Grußadressen an die Pariser Barrikadenkämpfer richtete.
    Stieber schien zu ahnen, was in Lamartines Kopf vor sich ging, er fuhr begeistert fort: »Leute wie Gaston Franc werden einmal
     als Helden gefeiert werden. Wenn wir erst den Aufstand der Anarchisten niedergemacht haben, wird Ihr Land wieder wissen, was
     es will. Die Leute werden erkennen, wer Freund und wer Feind ist. Die Niederlage in diesem unseligen Krieg hat Frankreich
     anfällig gemacht – das wissen die Anarchisten, sie nutzen den Krankheitszustand aus und dringen in den Volkskörper ein wie
     eine heimtückische

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