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Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman

Titel: Stieber - Der Spion des Kanzlers Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Brenner
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abschließen, und dabei bleibt es.«
    Lamartine lehnte die Tür an. Lecoqs Fuß blieb da, wo er war. Der Inspektor hob den hölzernen Deckel von der kastenähnlichen
     Toilette. Ein dunkler Schlund öffnete sich, aus dem sofort Mücken aufstiegen. Der Gestank war schwer zu ertragen. Lamartine
     hielt die Luft an. Draußen waren Schritte zu hören. Lecoqs Fuß verschwand. Lamartine drückte die Tür zu und riegelte ab. Dann
     öffnete er seine Hose, setzte sich nieder und erleichterte sich.
    Draußen sagte jemand etwas, was in der Kabine nicht zu verstehen war. Kurz darauf war Lecoqs Stimme zu hören. Lamartine erhob
     sich, schloß seine Hose und legte den Deckel auf seinen Platz zurück. Er wartete eine Weile – draußen war es still geworden.
    Der Inspektor öffnete die Tür und trat in den Vorraum. Udo stand Lecoq gegenüber. Lecoq war bleich geworden. Udo sah Lamartine
     erwartungsvoll an.
    »Es ist im Innenfutter der Jacke versteckt. Zwei Billets nach Paris trägt er lose in der Außentasche«, sagte Lamartine.
    Udo wandte sich an Lecoq: »Rücken Sie’s selbst raus oder soll ich Sie filzen?«
    Lecoq funkelte Lamartine wütend an. »Schwein! Vaterlandsverräter!« zischte er auf französisch.
    Lamartine schaute weg. Lecoq machte eine Bewegung, er griff in die Außentasche. Lamartine erschien die Bewegung falsch, zu
     hastig – und zur falschen Tasche. Lecoqs Hand war in die linke Außentasche verschwunden – die Billets hatte er in der rechten
     verstaut.
    »Vorsicht!« schrie Lamartine.
    Udos rechte Hand fuhr hoch. Ein Schlag traf Lecoqs Stirn. Lamartine sah an Udos Knöchel etwas Metallenes aufblitzen. Er benutzte
     einen Schlagring.
    Lecoq sackte etwas zusammen, seine Hand zuckte aus der linken Tasche, ein Stilett mit einem Perlmuttgriff fiel auf den Kachelboden.
     Das metallene Klirren schien man bis hinauf zu den Gleisen hören zu können. Udo schlug noch einmal auf den rückwärts gegen
     die Wand der Toilettenkabinen torkelnden Lecoq ein. Er wußte offensichtlich, was er tat: Der Schlag mit dem Metallring traf
     Lecoq an der gleichen Stelle, an der er schon verletzt war.
    Lecoq rutschte langsam an der Kabinenwand entlang zu Boden. Er gab ein Geräusch von sich, das Lamartine kannte: Wenn beim
     Sezieren die Lunge eines Toten zusammenfiel, weil die Luft aus ihr entwich, klang es genauso.
    Der Strichjunge wandte sich Lamartine zu. Die Faust mit dem Schlagring hielt er auf Brusthöhe. Sie zitterte.
    »Ich habe dir verraten, wo sein Geld versteckt ist«, sagte Lamartine schnell. Er versuchte gelassen zu klingen, denn er wußte,
     daß Udo auch ihm den Metallring über den Schädel schlagen würde, wenn er sich gefährdet fühlte.
    Udo ließ langsam seine Faust sinken. Er beugte sich über Lecoq und riß ihm das Innenfutter aus der Jacke heraus. EinBündel Banknoten verteilte sich auf Lecoqs Bauch. Udo sammelte das Geld gierig ein, dann griff er in beide Außentaschen, fand
     aber nur die Bahnbillets. Er betrachtete sie ratlos, dann hielt er sie Lamartine hin. Dieser griff sofort danach.
    Auf der Treppe waren Stimmen zu hören. Udo zischte: »Los, anpacken! Sonst sind wir beide geliefert!« Er bückte sich, nahm
     das Stilett an sich und ließ es in seine Tasche gleiten, dann packte er den leblosen Lecoq unter den Achseln und zog ihn mit
     einem Ruck hoch.
    Lamartine rührte sich nicht. Er dachte nach. Soeben hatte er sich an der Aufteilung der Beute eines brutalen Raubüberfalles
     beteiligt. Und nun sollte er dabei helfen, das halbtote Opfer des Überfalles beiseite zu schaffen. Obwohl er seit Jahren tagtäglich
     mit den schlimmsten Verbrechen, die sich ein Mensch vorstellen kann, zu tun hatte, hatte Lamartine noch nie ein Verbrechen
     begangen. Wenn er in seinem Büro am Quai des Orfèvres den Totschlägern und Meuchelmördern gegenübersaß, dann bewahrte er im
     Gegensatz zu vielen seiner Kollegen immer die Haltung, ja, es gelang ihm sogar, den verkommensten Subjekten gegenüber – Vater-
     und Muttermördern, Kindsmördern, Sexualverbrechern – eine Spur Respekt zu zeigen. Das war ihm nur deshalb möglich, weil es
     eine klare Grenze zwischen ihm und den Tätern gab: Sie waren ihm völlig fremd, sie schienen von einer ganz anderen Art zu
     sein. Lamartine hatte es nicht nötig, in dem Mörder sich selbst zu hassen, was, wie er wußte, viele jener Kollegen taten,
     die sich die Hände schmutzig gemacht hatten – sei es durch Korruption, durch Vorteilnahme gegenüber Hehlern und Prostituierten
    

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