Stiefbruder - Liebe meines Lebens
liebsten, wunderschönen Stiefbruder hier liegen zu sehen, allein mit mir, in einer klaren Nacht an einem plätschernden Bach, über uns die Sterne und ein satter Mond.
„Ich liebe dich“, rutschte es aus mir heraus. Es war so leicht, so natürlich und ich hatte nicht eine Sekunde vorher darüber nachgedacht. Stille. Dann hörte ich Jakob geräuschvoll schlucken.
„Hast du gehört, was ich gesagt habe?“, fragte ich und war froh, dass es dunkel war. So konnte mein geliebter Bruder nicht sehen, wie sehr ich vor Erregung zitterte.
„Das liegt am Smog. Hier draußen ist die Luft viel reiner, deswegen sieht man viel mehr Sterne“, faselte Jakob, als hätte ich ihm nicht gerade meine Liebe erklärt.
„Willst du nichts dazu sagen?“, bohrte ich nach. Jakob seufzte tief und schwieg. Irgendwo in der Nähe raschelte ein Kleintier durch die Wiese. In mir kämpften Mut und Angst, Hoffnung und Verzweiflung, so kurz davor, vor Glück zu zerspringen, so knapp daran, vor Schmerz zu vergehen.
„Bitte“, flüsterte ich, keuchend vor Aufregung. Auf einmal war ich wieder nur einen winzigen Moment davon entfernt zu heulen, und zwar nicht still und leise. Das was in mir hochkroch, langsam und zäh, kalt und gemein, war eine Qual, zu der ich den Rest meines Lebens hätte hysterisch schluchzen können.
„Hör auf damit“, mahnte Jakob und setzte sich nun ebenfalls auf.
„Das geht nicht“, erklärte ich leise.
„Ich weiß“, flüsterte er.
Was auch immer er damit meinte, es entflammte irgendwo in meinen unteren Regionen eine Zündschnur, die zischend und blitzend durch meinen Bauch hindurch hochbrannte und in meinem Herzen eine Explosion verursachte. Ich wagte kaum zu atmen und hätte doch so viel Luft gebraucht. Es war so still, dass vermutlich sogar die Käfer im Gras davon Ohrenschmerzen bekamen.
Für ein paar Sekunden, oder Minuten, schien alles möglich, jeder Weg offen, als säßen wir in einer Art Portal zu allen möglichen Paralleluniversen. Vielleicht hätte ich ihn einfach küssen sollen.
Dann war dieser Moment vorüber, Jakob sprang hoch und sagte:
„Lass uns zurückgehen!“
Nur äußerst widerwillig erhob ich mich und schlurfte zwei Meter hinter ihm her. Mein Kopf rauschte. Irgendetwas war passiert, aber ich hatte keine Ahnung
was
. Nur eines wusste ich zuverlässig: dass ich mich noch mehr in meinen Bruder verknallt hatte. Wie ein Herzinfarkt auf einem Herzinfarkt oder ein Tumor, der auf einem Tumor wucherte. In erster Linie tat es einfach nur weh.
° ° ° ° ° °
In der folgenden Nacht tat ich kein Auge zu und erschien am nächsten Morgen auch nicht zum Frühstück, sondern trat erst aus der Holzhütte als ich überzeugt war, dass alle weggefahren waren.
Sie hatten gestern davon gesprochen eine nahe gelegene Ortschaft zu bestaunen, die angeblich eine total berühmte und sehenswerte Altstadt hatte. Außerdem wollten sie ein Museum besuchen, das irgendetwas ausstellte, das versäumt zu haben kein Kulturherz verkraften konnte – vermutlich zweihundert Jahre alte Kochtöpfe oder ähnlich Volkstümliches.
Wie jeden Tag stellte ich den Liegestuhl in den Schatten, und nachdem ich mich eingecremt hatte, legte ich ein Buch auf meinen Kopf, lauschte dem Summen eifriger Bienen und schlief bald darauf ein.
Als ich Stunden später erwachte, entdeckte ich eine sehr seltsame Konstruktion, die sich neben meinem Liegestuhl materialisiert hatte. Jemand hatte zwei morsche Stöcke in die Erde gerammt, zwischen ihnen ein Kabel gespannt und eine große Decke drüber geworfen. Damit die Konstruktion stabiler wurde – oder zumindest werden sollte – hatte dieser Jemand noch eine Leiter zur Hilfe genommen und irgendwie mit der Schnur, der Decke und einem der Stöcke verkeilt. Die Funktion dieser seltsamen Konstruktion erschloss sich mir erst nach und nach, als ich mich umsah und feststellte, dass ich im einzigen Fleckchen Schatten weit und breit lag.
„In der Sonne einschlafen ist keine gute Idee“, drang auch schon Jakobs Stimme an mein Ohr, „Vor allem nicht bei deiner empfindlichen Haut.“
Rasch drehte ich mich zu ihm herum und erstarrte. Wann hatte ich ihn zuletzt ohne Shirt gesehen? Da war er vierzehn oder fünfzehn gewesen, ein Fliegengewicht, ziemlich mager. Zwar hatte sich da schon angedeutet, dass er gut Muskeln ansetzte – aber das, was ich hier bestaunen durfte, verschlug mir die Sprache. Immer wieder rotierte mein Blick über seine nackte Haut, blieb an den Brustwarzen hängen oder an dem
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