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Stiefkinder der Sonne

Stiefkinder der Sonne

Titel: Stiefkinder der Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edmund Cooper
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während wieder andere fanatische Wohltäter waren, die mit ein paar Leuten versuchten, Körper und Geist einer gesamten Kultur aufrechtzuerhalten. Keine von ihnen jedoch besaß Dauerhaftigkeit, weil sie entweder von der Vergangenheit lebten oder versuchten, sie zurückzubringen. Sie konnten es nicht verstehen, daß sie eigentlich nichts anderes als Grabräuber waren – wie ägyptische Bauern, die die Gräber im Tal der Könige plünderten.
    Greville widerten Versager an, und das galt für ihn selbst genauso wie für andere. So schreckte er vor der Zugehörigkeit zu einer Gruppe – welche das auch immer sein mochte – zurück und entschloß sich, so allein wie möglich zu leben. Er brauchte vor allem Zeit zum Denken, Zeit, sich mit einer verrückten Welt zu arrangieren, Zeit, sich mit seiner eigenen privaten Verrücktheit zu arrangieren.
    Er hatte die Hütte in Norfolk entdeckt, als er sich mühsam in die Richtung von London durchkämpfte. Es war mehr als eine Hütte: Es war eine Festung. Denn sie stand auf einer Insel von weniger als einem Morgen Größe im Ambergreave-See, ungefähr zwanzig Meilen südlich von Norwich. Einst hatte es das Ambergreave-Schloß gegeben, einen weitläufigen Bau aus dem sechzehnten Jahrhundert. Es war 1990 abgebrannt, als der Besitzer zwei Gallonen Benzin über sich geschüttet und ein Streichholz angezündet hatte. Die Hütte auf der Insel war ursprünglich als Sommerhaus in einer Zeit gebaut worden, als solche baulichen Extravaganzen populäre Attraktionen für die Reichen des Landes gewesen waren. Ein Lord von Ambergreave des neunzehnten Jahrhunderts jedoch, der entschiedene und optimistische Ansichten über seine Qualitäten als Dichter gehabt hatte, hatte das Sommerhaus zu einem Refugium ausbauen lassen, in dem er sich in göttlicher Einsamkeit wochenlang aufhalten konnte, um Riesenmengen von Sonetten zu verfassen, die ihm mit allergrößter Sicherheit einen festen Platz in der englischen Literaturgeschichte bringen würden.
    Unglücklicherweise kam ihm nie die Idee, daß die englische Literatur selbst ebenfalls sterblich sein könnte. Ebensowenig wäre ihm je der Gedanke gekommen, daß fünf Jahre nach seinem Tod nur noch der Drucker an seine Sonette denken würde, dem er im Laufe der Zeit für die Veröffentlichung verschiedener eleganter Bände mehr als tausend Pfund gezahlt hatte.
    So sollte es jedoch kommen. Greville hatte sein Marmorbild über einer beeindruckend aussehenden Gruft in dem Friedhof des Dorfes Ambergreave entdeckt, das ungefähr drei Meilen von den Ruinen des Schlosses entfernt lag. Das Grab verschwand – wie der gesamte Friedhof – unaufhaltsam und schnell unter einer Masse von Gebüsch und Unkraut. Er interessierte sich jedoch genügend für den Mann, der ihm diesen idealen Zufluchtsort geliefert hatte, um etwas über ihn herauszubekommen.
    Die Inschrift unter der Statue lautete:
    Dem unsterblichen Andenken an Augustus Rowley, Träumer, Philosoph und Literat. Geboren: 1833 – 1873 an Müdigkeit und tiefer Melancholie gestorben. Hier erwartet er seine Ehrenrettung durch Zeit und Verhältnisse, sicher in der Überzeugung, daß er seine Berufung durch seinen Schöpfer richtig erkannt hat.
     
    Greville war von dem großsprecherischen Nachruf amüsiert gewesen. Er nahm an, daß Augustus Rowley selbst ihn verfaßt hatte. Er hatte in der Tat Grund zur Dankbarkeit diesem obskuren und rührenden Dilettanten gegenüber, denn das Haus auf der Insel inmitten des Sees, das seinerseits die Schöpfung eines früheren Rowley war, hatte sich als idealer Zufluchtsort für einen einzelnen Transnormalen erwiesen, der in der transnormalen Welt des späten zwanzigsten Jahrhunderts lebte.
    Greville war einer Laune gefolgt und hatte das Unkraut, welches das Grab von Augustus überwucherte, weggeschnitten. Manchmal besuchte er den Friedhof und pflegte eine einseitige Unterhaltung mit dem verschwundenen Träumer, Philosophen und Literaten. Er machte sich einen besonderen Spaß daraus, dem stummen und unsichtbaren Augustus den gegenwärtigen Zustand der Welt zu erklären, die im neunzehnten Jahrhundert wie der ruhende Pol, das feste Zentrum eines sich bewegenden Universums gewirkt haben mußte. Er hatte das freudige Gefühl: Wenn Augustus die Katastrophe, die seinen sicheren und wohlgeordneten Kosmos ereilt hatte, wirklich erfaßt hätte, würde dieser Literat sich von den exquisiten Skulpturen seiner zeitlosen Sonette den Steinbruchsprengungen des freien Verses zuwenden.
    Nun, da

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