Stiefkinder der Sonne
instinktiv von der Leiche zurück und schauten vorsichtig die umliegenden Häuser an. Sie sahen nichts als die leeren Augen der Fenster.
Greville fingerte nervös an seinem Gewehr herum. Überrascht stellte er fest, daß seine Hände schweißnaß waren. Der Tod selbst war ihm ebensowenig fremd wie Gewalt, aber das hier war etwas Absurdes, etwas völlig Groteskes.
„Mein Gott“, flüsterte Liz. „Das sieht ja entsetzlich aus!“
„Sei ruhig und paß auf“, fuhr Greville sie an. „Und halte dein Gewehr schußbereit.“
Es gab nichts, worauf man hätte aufpassen können – nur eine schreckliche Stille, das beängstigende Nichts völliger Ruhe. Sie warteten bewegungslos, waren gefaßt auf Angriff, Lärm, irgend etwas. Es kam nichts.
„Na gut“, sagte Greville schließlich. „Es will scheinbar nicht zu uns kommen, also müssen wir gehen und es suchen. Halte dich ungefähr fünf Schritte hinter mir und beobachte die linke Straßenseite. Ich übernehme die rechte. Hier muß irgend etwas völlig Verrücktes passiert sein.“
Sie gingen vorsichtig die Straße hinunter. Haus um Haus spuckte nichts als Stille aus.
Es war so, dachte Greville, als habe sich das ganze Dorf in eine leere Filmkulisse verwandelt.
Dann sahen sie einen Kopf, der auf einen an einer Gartentür befestigten Pfahl gesteckt war. Es war Big Willies Kopf, und er grinste, wie er auch im Leben oft gegrinst hatte. Eine Botschaft war in groben weißen Buchstaben auf die Straße geschrieben. Greville hatte einen Moment lang die hysterische Vorstellung, daß Willie versuchte, sie zu lesen.
Sie bestand nur aus wenigen Worten: Verzweifelt! Der Herr befiehlt es euch!
Greville murmelte eine Obszönität und drehte sich Liz zu. Sie starrte ihn mit blassem Gesicht an.
„Schauen wir uns doch mal im Haus um“, sagte Greville grimmig. „Wollen doch mal sehen, ob Big Willies Mutter ebenfalls Buße getan hat.“
Sie gingen zu der Eingangstür. Greville trat sie auf und sprang mit dem Gewehr im Anschlag hinein. Er hätte sich keine Gedanken zu machen brauchen.
Ob Big Willies Mutter für Inzest und wahrscheinlich Kannibalismus Buße getan hatte, das war jetzt höchstens noch von akademischem Interesse. Sie lag mit angewinkelten Knien und hochgeschobenem Rock auf dem Boden. Ihre Knöchel waren an ihre Hände gefesselt, und durch ihre Brust war ein Holzpfahl getrieben worden.
Sie war noch keine sehr alte Frau gewesen – wahrscheinlich in den späten Vierzigern, dachte Greville –, und auf eine zigeunerhafte Art war sie recht hübsch gewesen; mit großen dunklen Augen und vorstehenden Backenknochen.
Wie bei Big Willie standen ihre Augen offen. Sie zeigten jedoch weder Belustigung noch Schmerz. Nur eine entsetzlich komische Überraschung.
In dem Zimmer lagen zwei tote ‚Mönche’. Einer hatte ein Messer im Rücken, und der andere hatte eine Wunde am Kopf, die wahrscheinlich von einer Axt stammte, denn neben ihm lag eine blutbeschmierte Axt.
Liz war Greville in das Haus gefolgt. Er schob sie fast sofort wieder hinaus. Die Szene, meinte er, war nicht für eine genauere Untersuchung geeignet.
„Zum Teufel mit dem Ganzen hier“, sagte er rauh. „Komm, wir schauen nach, was in der Windmühle passiert ist.“
Weder Big Willie noch seine Mutter waren für die Gemeinschaft ein unerträglicher Verlust. Miss Worrall jedoch fiel in die Sparte ‚Schlüsselpersönlichkeiten’. Ohne ihre Dienste als Müllerin war es praktisch unmöglich, Brot zu backen. Außerdem mochte Greville sie sehr. Sie kam ihm wie eine Transie vor, die auf eine fast exzentrische Art und Weise normal war.
Die Mühle lag auf der anderen Seite des Dorfes. Greville mußte die gesamte Dorfstraße zurücklegen, um dorthin zu kommen. Sie kamen noch an weiteren Leichen vorbei, darunter auch der von Charles Cuthbert, dem Schmied, und an der von weiteren drei Pseudo-Mönchen. Cuthbert war offensichtlich die Kehle durchgeschnitten worden. Die Mönche waren zum Teil durch Schußverletzungen, zum Teil durch Hundebisse getötet worden.
Die Windmühle selbst jedoch war die Szene der größten Verwüstung. Sie zeigte die Spuren einer Auseinandersetzung, die praktisch eine Schlacht gewesen sein mußte. Miss Worralls Schäferhunde – Greville zählte fünf Kadaver – hatten phänomenale Dienste geleistet, denn sie schienen mindestens die doppelte Anzahl von ‚Mönchen’ mit sich genommen zu haben.
Die Schäferhunde waren an Schußverletzungen, Messerstichen und mit Prügeln ausgeführten
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