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Stiefkinder der Sonne

Stiefkinder der Sonne

Titel: Stiefkinder der Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edmund Cooper
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Willenskraft aufrecht halten. Ich sprang aus dem Auto und rannte zu ihm. Liz schoß noch immer.
    Francis hielt einen Jungen von ungefähr neun oder zehn Jahren im Arm. Das Wörterbuch war zu Boden gefallen.
    ,Tut mir leid, mein Bester’, sagte Francis. ‚ Deus ex machina. Sehr passend … Geht es dem Jungen gut?’
    ,Dem Jungen geht’s blendend’, versicherte ich ihm und nahm das kleine Bündel aus seinen Armen.
    ,Mit mir ist es aus’, sagte Francis. ‚Behalte unseren Neandertalerfreund als Souvenir … Das arme Kind konnte sich nicht mehr bewegen … Ich habe ihn mit einem selbstgemachten Bogen und zwei Pfeilen gefunden, wenn du dir das vorstellen kannst.’
    Er sank auf die Knöchel nieder und grinste. ‚Er war dabei, Grimms Märchen bei Kerzenlicht zu lesen.’
    ,Ich schaffe dich ins Auto zurück’, sagte ich.
    ,Zwecklos … Nimm den Jungen … Und, Greville …’
    ,Ja?’
    ,Liebe jemanden … Bau etwas auf.’ Francis gab ein leises schreckliches Knurren von sich. Dann fiel er zu einem formlosen Haufen zusammen.
    Ich sah mir das Kind an, das ich in den Armen hielt. Die Kugel war glatt durch Francis durchgegangen und hatte den Jungen in den Hinterkopf getroffen.
    Meiner Ansicht nach war er ungefähr zehn Jahre alt. Er trug ein einziges Kleidungsstück aus Katzenfell, und er sah aus, als sei er seit Monaten am Verhungern. Wahrscheinlich hätte er sowieso nicht mehr lange gelebt.
    Ich sah Francis an, und dann sah ich wieder zu dem Kind. Merkwürdigerweise sah das Gesicht des Kindes viel älter aus. Es sah aus, als hätte es schon alle Leiden der Menschheit ertragen müssen.
    Francis war tot, und das Kind war tot, und Liz ballerte mit ihrem Schrotgewehr, als sei Sylvester angesagt.
    ,Dem Jungen geht es gut’, plapperte ich vor mich hin und legte ihn neben Francis.
    ,Er möchte noch ein bißchen bei dir bleiben. Er will dir Gesellschaft leisten.’
    Dann kam ich wieder zu mir und rannte zum Auto zurück, startete den Motor und sah zu, daß ich so schnell wie möglich wegkam. Liz konnte nie einen Blick auf das werfen, worauf sie geschossen hatte. Vielleicht wußten auch die anderen niemals, worauf sie geschossen hatten.“
     

22
     
    Der Frost kam und brachte den scharfen und antiseptischen Geschmack des Winters mit sich. Die Landschaft erstarb in reifbetupfter Pracht. Blätter fielen auf kahle, unberührte Berge, totes Holz brach von den Bäumen herab, und der graue Schleier der Einsamkeit senkte sich auf die Novemberwelt.
    Auf eine merkwürdige Art ernüchterte Francis’ Tod Greville und Liz. Er erfüllte sie mit mehr Angst, als dies bei der Zerstörung von Ambergreave der Fall gewesen war, mehr als bei irgendeinem der vielen bizarren und sinnlosen Morde, die sie hatten sehen müssen – oder selbst herbeigeführt hatten –, seit sie sich getroffen hatten. Er erfüllte sie mit Angst, weil Francis im Lauf der Zeit einer von ihnen geworden war, weil sie, nachdem sie ihn in ihrer abgeschlossenen Welt aufgenommen hatten, unbewußt ihre eigene unbewußte Annahme von Unsterblichkeit auf ihn übertragen hatten.
    Sicherlich lebten sie im Schatten der Gewalt und hatten selbst einige Erfahrungen in der Kunst des Mordens – besonders Greville –, so daß jeder Tag der Weiterexistenz begrüßt wurde und wahrscheinlich eine unverdiente Vergünstigung darstellte, aber all dies zwang sie nicht wirklich dazu, die Tatsache ihrer eigenen Unsterblichkeit anzunehmen.
    Francis’ Tod schaffte das, weil Francis in der kurzen Zeit, die sie ihn gekannt hatten, ein Teil von ihnen geworden war; und ein Teil von ihnen war gestorben.
    Es war nun unmöglich geworden, sich in das kleine Haus auf der Insel zurückzuziehen und die Welt auszuschließen. Es war unmöglich, weil die Welt in der Gestalt eines Geistes eindrang.
    Francis hörte unsichtbar ihrer Musik zu. Wortlos widersprach er den eher pragmatischen Aussagen Grevilles.
    Wenn Liz einen ihrer üblichen logischen Sprünge machte, ertönte sein lautloses Lachen. Greville hätte es nicht für möglich gehalten, daß jemand, der tot war, so beharrlich und negierend am Leben bleiben konnte.
    Die Fröhlichkeit war verschwunden, die Phantasie konnte nicht mehr länger aufrechterhalten werden. Selbst in der Liebe war nur noch Verlassenheit zu finden.
    Schatten schienen hinter dem erregten Fleisch zu lauern, die Erinnerung an die Vergänglichkeit war stärker als Beethoven, Alkohol, Essen und Orgasmus.
    Greville konnte es nicht verstehen, daß ein alter Mann, den sie nur so kurz

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