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Stigma

Stigma

Titel: Stigma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Hübner
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können dir auch den Weg in ein neues Leben ermöglichen.«
    »Was ist denn an diesem so falsch?«
    »Im Grunde nichts, Tom. Bis auf die Tatsache, dass du ein Gefangener deiner selbst bist. Und die eigene Seele ist auf Dauer keine geeignete Zuflucht, weil sie meistens mit Isolation darauf reagiert. Und genau das ist es meiner Meinung nach, was dich quält. Daran sind nicht irgendwelche Erinnerungen oder Ereignisse schuld.« Sie legte ihre Hand auf seine Brust. »Es ist die Einsamkeit da drin, die dich verändert. Du hast dich lange genug vom Rest der Welt abgekapselt. Ich finde, es ist an der Zeit, sich ihr wieder zu öffnen.«
    »Und wenn ich nicht dazu bereit bin? Da draußen lauern zu viele Gefahren, und ich weiß einfach nicht, ob ich den Menschen noch einmal vertrauen kann. Hier fühle ich mich wenigstens sicher, verstehst du?«
    »Es geschehen nicht nur schreckliche Dinge in unserer Welt«, entgegnete Karin. »Denk nur an deine Kindheit. Bis zu diesem Tag war sie doch sehr harmonisch, oder etwa nicht?«
    Tom seufzte. »Ja, aber ich bin eben kein naives Kind mehr. Die Dinge, die mir angetan wurden, lassen sich nun mal nicht auslöschen. Sie haben ihre Spuren hinterlassen und mich zu einem Feigling gemacht. Damit muss ich leben. Vielleicht hast du ja recht mit dem, was du sagst. Und sicher stimmt es auch, dass ich einfach nicht den Mut habe, mich meiner Vergangenheit zu stellen. Aber das ist mir egal. Solange ich dich und Mark habe, brauche ich niemand anderen. Ihr seid mein Leben. Und mehr verlange ich auch gar nicht.«
    »Denkst du nicht, dass das ein bisschen egoistisch ist?«
    »Langsam weiß ich nicht mehr, was ich denken oder glauben soll. Ich habe das Gefühl, mich nur noch im Kreis zu drehen. Ganz egal, wofür ich mich entscheide, es könnte genau das Falsche sein.«
    »So ist das nun mal mit Entscheidungen. Sie stellen uns vor die Wahl, und man weiß vorher nie, wie sie sich auswirken.« Sie ließ sich auf ihren Stuhl zurücksinken. »Ich habe auch eine Entscheidung getroffen«, sagte sie und vermied es, ihn anzusehen. »Ich habe mit dem Gedanken gespielt, mit Mark zu meinen Eltern zu fahren. Nach dem, was gestern auf diesem Grundstück passiert ist, dachte ich, es wäre vielleicht das Beste, wenn wir uns eine Weile nicht sehen. Ich dachte, es würde dir vielleicht helfen, die richtige Wahl zu treffen und dich mit deinen Ängsten auseinanderzusetzen. Aber dann ist es mir feige und falsch vorgekommen, dich einfach im Stich zu lassen. Also habe ich beschlossen zu bleiben, egal, wie du dich entscheidest. Ich habe das nicht nur getan, um dir zur Seite zu stehen. Ich habe es getan, weil ich dich liebe. Aber über eines musst du dir im Klaren sein, Tom«, setzte sie mit Nachdruck hinzu. »Wenn sich dieser Vorfall von gestern wiederholen sollte oder ich das Gefühl habe, dass Mark unter dieser Geschichte leidet, dann kann ich nicht länger zu dir halten. Ich hoffe, du verstehst das.« Sie stand auf und trat vor ihn. »Das ist es, wofür ich mich entschieden habe«, verkündete sie mit fester Stimme. »Bitte sorg dafür, dass ich es nicht bereuen muss.« Ihre Lippen berührten sanft seine Stirn. Dann ging sie zurück ins Haus.
    Tom saß noch lange so da. Sein trüber Blick verlor sich im See, dessen glatte Oberfläche das warme Licht der Nachmittagssonne reflektierte wie ein überdimensionaler Spiegel, vor den sich nun vereinzelte dunkle Wolken schoben, so als wären sie die düsteren Vorboten für etwas Schreckliches. Die Anzeichen von Veränderung schienen allgegenwärtig zu sein, und seine Angst davor war begründeter denn je, denn diese Veränderungen hatten längst begonnen.
Zwei Tage später
     
Freitag, 19. Mai
     
     
     
     
     
    O bwohl Tom den Vormittag abermals mit dem erfolglosen Versuch verbracht hatte, ein paar brauchbare Zeilen zu schreiben, war er an diesem Tag guter Dinge. Seit Kommissar Dorns Anruf hatte er keine weiteren Visionen gehabt. Keine neuen Hiobsbotschaften, keine Angstzustände und, was noch wichtiger war, keine weiteren vermissten Mädchen. Nur die Tatsache, dass die Polizei noch nichts Neues über den Verbleib von Tanja Peters in Erfahrung hatte bringen können, trübte seine Stimmung ein wenig. Wie man ihm berichtet hatte, schied ihr Vater als Verdächtiger aus, da er zur fraglichen Zeit auf dem Weg zu einem geschäftlichen Termin gewesen war, den er auch pünktlich eingehalten hatte; somit kam er zumindest nicht als direkter Täter infrage. Auch gab es keinerlei brauchbare

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